Das Foto zeigt die Kabarettisten Werner Schneyder und Dieter Hildebrandt in Porträtansicht.

Humor im Wirtschaftswunder

Der erste westdeutsche Kabarettist in der DDR

"Die Feinde des Volkes müssen in der Satire das scharfe Schwert der Arbeiterklasse fürchten, das Volk soll in der Satire den helfenden Freund achten und schätzen." (Vorlage aus dem Jahr 1956 der Abteilung für Agitation und Propaganda an das SED-Sekretariat)

Von Markus Schall

Satire gegen Kapitalismus

Satire und Kabarett in der DDR sollten laut der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) also einerseits die kapitalistischen Feinde treffen und andererseits die Menschen der DDR grundsätzlich als "die Guten" darstellen. Vor diesem Hintergrund war es lange Zeit undenkbar, dass einem Kabarettisten der Bundesrepublik ein Auftritt in der DDR ermöglicht werden könnte.

Häufig ist zu lesen, dass es Dieter Hildebrandt und sein langjähriger Partner Werner Schneyder waren, die den Damm des Auftrittsverbots als Erste durchbrechen konnten. Dieter Hildebrandt schrieb dazu in seiner Autobiographie: "Das war bei Schneyder, dem Österreicher, nicht so schwierig; in meinem Falle, dem Bundesrepublikaner, gab es erhebliche Bedenken seitens der Kulturfalken in Ost-Berlin."

Dieter Hildebrandts "Abenteuer DDR"

Schneyder und Hildebrandt schafften es tatsächlich, wohl nicht zuletzt wegen des Zugpferds Schneyder, der seinen "BRDler huckepack" nahm, wie Hildebrandt später resümierte. Und so gaben Hildebrandt und Schneyder vom 10. bis 14. Januar 1985 insgesamt sechs Vorstellungen in der "Leipziger Pfeffermühle" – und das mit großem Erfolg.

Dieter Hildebrandt selbst war beeindruckt von dem "Abenteuer DDR" und schrieb rückblickend: "Heute (...) kann ich sagen, dass dieses Gastspiel zu einem meiner aufregendsten Erlebnisse während meiner Laufbahn gehört. (...) [Dem Publikum] entgeht nichts. Auch nicht, dass auf dem Nebenplatz ganz sicher ein Funktionär, ein Offizier der VA oder ein Freund von der Stasi sitzt (...). Es wird laut gelacht und engagiert geschwiegen. (...) Ganz offensichtlich ist, dass man sich hier auf uns gefreut hat."

Schwarzweiß-Bild: Werner Schneyder und Dieter Hildebrandt während eines Auftritts

Werner Schneyder und Dieter Hildebrandt in der "Leipziger Pfeffermühle"

Hildebrandt war nicht der Erste

Etwa 20 Jahre vor diesem Ereignis unternahm Helene Weigel, Schauspielerin und Intendantin des Berliner Ensembles in Ost-Berlin, eine ganz persönliche Mission: Sie wollte einem bestimmten West-Berliner Kabarettisten einen Auftritt in der DDR ermöglichen. Denn sie war eine große Verehrerin seiner Kunst.

Und tatsächlich: Im Januar 1965, also 20 Jahre vor Hildebrandt, gab es eine einzige Vorstellung in der Kantine des Berliner Ensembles. Das Programm hieß "Das jüngste Gerücht". Im Vorfeld gab es keine Karten, die man etwa offiziell hätte kaufen können, vielmehr war es eine geschlossene Veranstaltung für Eingeweihte.

Der Künstler hieß Wolfgang Neuss. Jener Wolfgang Neuss, der später im gleichen Jahr in Frankfurt am Main zusammen mit Wolf Biermann beim Ostermarsch auftrat, was ihm ein endgültiges Einreiseverbot in die DDR einbrachte.

Schwarzweiß-Bild: Wolfgang Neuss an ejnem Rednerpult

Wolfgang Neuss trat schon 20 Jahre vor Hildebrandt in der DDR auf

(Erstveröffentlichung: 2004. Letzte Aktualisierung: 01.10.2018)

Quelle: WDR

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