Renaissance

Humanismus – das Menschenbild der Renaissance

Die Renaissance ist eine Kulturbewegung einer kleinen, gebildeten Elite. Sie besteht aus einem Kreis von bedeutsamen Fürsten, Wissenschaftlern und Künstlern. Diese rücken den Menschen und seine Errungenschaften in den Mittelpunkt ihrer Weltanschauung.

Von Gregor Delvaux de Fenffe

Raus aus dem Jammertal

Der Mensch der Renaissance ist selbstbewusst, er begreift sich als Künstler, als Schöpfer, als Herr der Künste. Er interessiert sich für technische Neuerungen, für die Kriegskunst, die Geschichte, Werke und Ästhetik der vielgerühmten Antike.

Bilder, Statuen, Reliefs und Architektur sollen einem neuen Schönheitsideal und lebensbejahenden Menschenbild Rechnung tragen. Sie sollen ein Fest für die Sinne sein, ein Rausch aus Gold und Purpur.

Der Künstler der Renaissance beobachtet messerscharf, analysiert und fertigt detailgetreue Studien an. Leichen werden seziert, die Anatomielehre wird begründet. Die Zentralperspektive wird zur bahnbrechenden Erfindung, beeinflusst vom neuen Realismus des Nordens werden Bilder und Plastiken zu naturgetreuen Abbildungen.

Der Mensch der Renaissance erweitert sein Gesichtsfeld: Plötzlich rücken das Irdische, die Bedingungen der menschlichen Existenz auf Erden, in den Mittelpunkt des allgemeinen Interesses.

Christlicher Glaube und die Hoffnung auf das Jenseits sind durchaus präsent, ersetzen aber nicht länger die Beschäftigung mit der Gegenwart und den vergänglichen, irdischen Phänomenen. "Humanismus" nennt sich die neue Geisteshaltung, die den Menschen für sich entdeckt und in den Mittelpunkt von Kunst, Kultur und Wissenschaft rückt.

Der Humanismus meint den Menschen

Das Wort Humanismus leitet sich ab vom lateinischen Begriff der "humanitas", Menschlichkeit. Der Humanismus beschäftigt sich mit dem Wesen des Menschen und spürt seiner Existenz und seinem Sinn nach. Der Humanismus wird zur Weltanschauung, die sich an den Interessen, den Werten und der Würde jedes einzelnen Menschen orientiert.

Traditionelle Kräfte wie die Religion oder Herrschaft werden hinterfragt und nicht mehr unkritisch übernommen. Der moderne Mensch mit seinen Gaben und gestalterischen Fähigkeiten wird hervorgehoben.

Die Humanisten tragen der Tatsache Rechnung, dass der Mensch aus eigenem Antrieb fähig ist, sich und seine Welt zu begreifen, kritisch zu hinterfragen und weiterzuentwickeln.

Gemälde entfernen sich von religiösen Motiven | Bildquelle: akg

Petrarca und das finstere Mittelalter

Urvater der Humanisten ist der Dichter Petrarca, der neben Dante und Boccaccio zu den "drei Kronen" des Trecento, des 14. Jahrhunderts, gehört.

Petrarca erspürt den bevorstehenden epochalen Umbruch, er deklariert kurzerhand die Zeit nach der Antike bis in seine Gegenwart als eine Periode der "tenebrae", der undurchdringlichen Dunkelheit. Und Petraca weist den Zeitgenossen den Weg aus diesem Dunkel: Es ist die Rückbesinnung auf das Zeitalter der Antike.

Mit Petrarca wertet der Mensch der Renaissance die vergangenen Jahrhunderte als "finsteres Mittelalter" ab, er schafft einen künstlichen Einschub zwischen Antike und Renaissance – das Mittelalter, eine Un-Zeit, die er für rückständig erklärt. Die Renaissance hingegen soll Epoche machen und an Epochales der Antike anschließen.

Francesco Petrarca "erfand" eine neue Epoche | Bildquelle: akg-images, Erich Lessing

Zurück zu den Quellen

1511 formuliert der bereits zu Lebzeiten berühmte Gelehrte Erasmus von Rotterdam programmatisch: "ad fontes" – zurück zu den Quellen! Mit seinem Studium der griechischen und römischen Klassiker wird er zum Wegbereiter einer neuen Gelehrsamkeit. Diese Rückkehr zu den Quellen und Errungenschaften der Antike entpuppt sich bald als Motor der Renaissance.

Als im Jahre 1453 das ehemalige Byzanz, die Stadt Konstantinopel, von den Osmanen erobert wird, fliehen viele Gelehrte und Geistesgrößen nach Italien. In ihrem Gepäck haben sie längst verloren geglaubte Texte und Abschriften der großen Denker und Redner des Altertums.

Systematisch erarbeiten die Humanisten auf der Basis dieser Texte ein neues Menschenbild, ersetzen die gedankenlose Übernahme althergebrachter Weltbilder durch die kritische Überprüfung durch den Verstand. Kunst, Architektur und Handwerk der Renaissance profitieren von den Ideen der Humanisten.

Erasmus von Rotterdam proklamierte: Zurück zu den Quellen! | Bildquelle: akg

Die Epoche der Wiedergeburt

Die Künstler transportieren das neue Menschenbild der Gelehrten in ihren Werken und prägen bis ins 16. Jahrhundert hinein einen eigenen Stil und eine eigene Ästhetik der Renaissance.

Den Schöpfern und Gelehrten, den schon zu Lebzeiten gefeierten Helden der Renaissance, ist damals durchaus bewusst gewesen, dass sie Anteil an einer besonderen Bewegung der Erneuerung und des Aufbruchs hatten.

Sie feierten die Ideen und die Highlights der Antike, einer alten, längst versunkenen Welt, und übersetzten sie in ihre Zeit, um sie für die Gegenwart, die Moderne, fruchtbar zu machen.

Manchem Zeitgenossen erschien dieser verheißungsvolle Aufbruch geradezu wie das Erwachen aus einem Traum oder die Geburt eines neuen Menschen.

"Rinascita" ("Wiedergeburt") nannte der Florentiner Kunstkritiker Giorgio Vasari diese einmalige kulturelle Blütezeit schon wenig später, im 16. Jahrhundert. Sein Etikett sollte bis heute Gültigkeit haben. "Renaissance" nennen auch wir heute jene fast 200 Jahre währende Epoche des 15. und 16. Jahrhunderts, eine Zeit des tiefgreifenden kulturellen Wandels.

(Erstveröffentlichung 2007. Letzte Aktualisierung 26.06.2019)