Die Hexenverfolgung
01:59 Min.. UT. Verfügbar bis 14.10.2027. Von Anja von Kampen/VisionX.
Neuzeit
Hexenverfolgung
Der Glaube an Hexen ist uralt: Angeblich sind sie mit dem Teufel verbündet und können mit ihrer Zauberkraft Schaden anrichten. Ab dem 15. Jahrhundert begannen regelrechte Hetzjagden auf vermeintliche Hexen. Zehntausende von Menschen – vor allem Frauen – starben dabei auf dem Scheiterhaufen.
Von Tobias Aufmkolk
Ein uralter Glaube
Der Glaube an Wesen, die wir heute als Hexen bezeichnen und die mit ihrem Zauber Schaden anrichten können, zieht sich weltübergreifend durch alle Kulturkreise und Zeiten hindurch.
Schon in den antiken Hochkulturen von Ägypten, Babylonien und Assyrien ist man von der Existenz sogenannter Zwischenwesen (Dämonen) überzeugt. Vermeintliche Zauberer werden auch zu dieser Zeit schon mit dem Tod bestraft, zu gezielten Verfolgungen kommt es aber nicht.
Auch im römischen Imperium glaubt die Mehrheit der Bevölkerung an Zauberei, allerdings wird nur ihr Missbrauch unter Strafe gestellt. Sogenannte Schadenszauberer werden seit dem 3. Jahrhundert nach Christus lebendig verbrannt, während "wohltätige Zauberei" ungestraft bleibt.
Erst mit dem Erstarken der christlichen Religion im 4. Jahrhundert nach Christus wird auf jede Art der angeblichen Zauberei die Todesstrafe verhängt. Erstaunlich dabei ist, dass die frühen Christen an die Wirksamkeit der Zauberei gar nicht glauben, den bloßen Versuch jedoch schon als teuflisch ansehen.
Pakt mit dem Teufel
Der große Kirchengelehrte Augustinus (354-430) setzt sich in seinen Schriften als erster ausführlich mit Magie und Zauberei auseinander. Seiner Ansicht nach sind magische Handlungen zwar prinzipiell wirkungslos, setzen aber einen stillschweigenden Pakt mit dem Teufel voraus. Eine Anleitung zur Bestrafung von Zauberern gibt er nicht.
Die Lehren des Augustinus beeinflussen im gesamten Früh- und Hochmittelalter – also etwa von den Jahren 500 bis 1250 – maßgeblich den Umgang mit vermeintlichen Zauberern und Hexen. Zwar kommt es zu vereinzelten Prozessen wegen Zauberei, die im schlimmsten Falle auch mit einer Todesstrafe enden können, doch von gezielten Verfolgungen kann man dabei nicht sprechen.
Die Kirche wendet sich sogar ausdrücklich gegen Lynchjustiz und Pogrome, die von Teilen der Bevölkerung manchmal verübt werden.
Augustinus glaubte nicht an Zauberei
Die Menschen glauben zwar an Magie, leben aber im Großen und Ganzen in friedlicher Koexistenz mit den vermeintlichen Zauberern. Verurteilungen gibt es nur sehr selten. Die Geschädigten wollen in der Regel lediglich erreichen, dass der angebliche Zauber wieder aufgehoben wird. Auch die Kirche hat in diesem Zeitraum kein besonderes Interesse an der Verfolgung und Bestrafung von vermeintlichen Zauberern.
Im "Canon episcopi", einer kirchenrechtlichen Vorschrift aus dem Jahre 906, werden Frauen beschrieben, die während ihrer nächtlichen, ekstatischen Flüge einen Pakt mit dem Teufel schließen.
Aus Sicht der Kirche sind die Flüge jedoch lediglich Wahnvorstellungen der Frauen. Man hält sie für Leute, die einem irrtümlichen Glauben anhängen und deshalb mit Bußen belegt werden müssen. Im schlimmsten Fall bedeutet dies für die Frauen den Ausschluss aus der Gemeinde, was einer sozialen Ächtung gleichkommt.
Wachsende Bedrohung
Ab dem 13. Jahrhundert dann wird von der Kirche ein deutlich schärferer Ton gegenüber vermeintlichen Hexen angeschlagen. Thomas von Aquin (um 1225-1274), einer der bedeutendsten Kirchentheoretiker des Mittelalters, geht in seinen Schriften davon aus, dass Hexentaten mit Hilfe des Teufels tatsächlich ausgeführt werden können.
Er beschreibt zudem detailliert die magischen Praktiken der Hexen, zum Beispiel den Pakt mit dem Teufel, die Hexenluftfahrt, die Tierverwandlung oder das Wettermachen. In seinen Augen sind Hexen "schadensbringende Weiber". Damit legt den theoretischen Grundstein für die späteren massenhaften Hexenverbrennungen.
Thomas von Aquin
In seinem Gefolge veröffentlichen zahlreiche kirchliche Gelehrte Schriften, die vermeintliche Hexensekten beschreiben und deren Verbrechen in verschiedene Klassen einordnen. Allmählich wandelt sich das Hexenbild: Angestachelt von Predigern und Autoren empfindet die Bevölkerung die Anwesenheit von Hexen als zunehmend bedrohlich.
Eines der Kerngebiete ist die heutige Schweiz. In einem Prozess gegen solch ein Sektenmitglied taucht 1419 in der Schweizer Stadt Luzern auch zum ersten Mal das deutsche Wort "hexerye" zur Bestimmung der Praktiken auf.
Rechtliche Grundlagen
Die katholische Kirche sieht sich zum Handeln gezwungen. Da scheinbar immer mehr Menschen der Magie verfallen, definiert sie auf dem Konzil in Basel ab 1431 den Hexenglauben neu. Abhandlungen werden geschrieben, die nicht mehr von Einzelpersonen ausgehen, sondern von einer großen Hexensekte. Die Inquisitoren sollten die Augen offen halten und gegen diese Sekten vorgehen.
Die Bevölkerung nimmt schon kurze Zeit nach Veröffentlichung der Abhandlungen den Glauben an die Hexensekten an. In den Kirchen entstehen um 1450 zunehmend Malereien, die Hexenflüge darstellen. Es gibt erste gezielte Verfolgungen seitens aufgewiegelter Bauern, hauptsächlich in den Tälern der Schweizer Alpen.
Von der römischen Kurie ernannte Inquisitoren wandern in den Bistümern umher, um gezielt Hexenverfolgungen zu organisieren. Der berüchtigtste unter ihnen ist Heinrich Kramer (um 1430-1505): 1478 zum Inquisitor für ganz Oberdeutschland ernannt, lässt er innerhalb weniger Jahre zahlreiche angebliche Hexen zum Tode verurteilen.
Die Angst vor den Hexen nimmt im 15. Jahrhundert zu
Da es sowohl in der Kirche als auch in der weltlichen Politik noch viele Gegner der Verfolgungen gibt, verfasst er 1484 ein Papier, das er den amtierenden Papst Innozenz VIII. (1432-1492) unterschreiben lässt. Mit der sogenannten "Hexenbulle" des Papstes legalisiert die katholische Kirche zum ersten Mal die Hexenverfolgungen der Inquisitoren.
Trotz der "Hexenbulle" hat Kramer 1485 bei einem von ihm initiierten Hexenprozess in Innsbruck keinen Erfolg. Der ortsansässige Bischof ist von der Rechtmäßigkeit nicht überzeugt, lässt den Prozess platzen und Kramer aus Tirol hinauswerfen.
Dieses Scheitern veranlasst ihn zur Abfassung seines berühmten Buches "Hexenhammer", in dem er detailliert die Verbrechen der Hexen beschreibt und Regeln für Prozesse gegen sie aufstellt. Schon bald nach seiner Veröffentlichung im Jahre 1487 findet das Buch großen Anklang in ganz Europa.
Beginn der Hetzjagd
Der "Hexenhammer" trifft auf fruchtbaren Boden. Ende des 15. Jahrhunderts verschlechtern sich die Lebensbedingungen der Bevölkerung dramatisch. Lange und harte Winter sind verantwortlich für drastische Ernteeinbußen, Epidemien breiten sich aus, viele Menschen sterben an Krankheiten oder Hunger. Für die Übel werden vor allem Hexen verantwortlich gemacht.
Schätzungen zufolge sterben in den ersten 30 Jahren nach Veröffentlichung des "Hexenhammers" mehrere Tausend Menschen in ganz Europa auf dem Scheiterhaufen.
Tod auf dem Scheiterhaufen
Um 1520 ebbt die erste Welle der Verfolgungen ab. Manche weltlichen Herrscher, die reformierten Gebiete in Deutschland sowie die spanische Inquisition lehnen die Hexenverbrennungen ab und stellen sie sogar unter Strafe.
Doch die Schonzeit für angebliche Hexen hält nicht lange an. Mitte des 16. Jahrhunderts verschlechtern sich die Lebensbedingungen erneut. Eine neue Kältewelle bricht über Europa herein. Lebensmittel werden so teuer, dass große Teile der Bevölkerung Hunger leiden müssen.
Durch Predigten von Hexengegnern angestachelt, beginnen die Hexenjagden quer durch alle Konfessionen erneut. In vielen Ländern Europas erleben die Prozesse in den Jahren zwischen 1570 und 1590 ihren Höhepunkt.
Sonderfall Mitteleuropa
Während sich in West- und Südeuropa die Versorgungslage um 1600 allmählich stabilisiert und die Verfolgungen abnehmen, ist in Zentraleuropa nochmals ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen, der seinen Höhepunkt im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) findet.
Zwischen 1626 und 1630 kommt es zu einer Konzentration ungünstiger Verhältnisse: Durch die Wirren des Krieges liegen viele Felder brach, andere Felder können wegen schlechter Witterungsverhältnisse keinen Ertrag hervorbringen.
1626 herrscht noch bis Ende Mai so starker Frost, dass sogar Teiche zufrieren. Wiederum werden Hexen für die Wetterschäden zur Verantwortung gezogen. In einer beispiellosen Hetzjagd werden Tausende von Menschen in Schnellverfahren getötet. Allein im Kurfürstentum Köln finden zwischen 1626 und 1635 mehr als 2000 Hinrichtungen statt.
Diesmal trifft es jedoch nicht nur ältere, arme Frauen, sondern auch Geistliche und Mitglieder des Adels, die sich den Verbrennungen entgegenstellen wollen. Ganz Zentraleuropa ist von einer Art Endzeitstimmung befallen. Auf Drängen der Bauern lassen auch Herrscher, die den Hetzjagden skeptisch gegenüberstehen, massenweise Scheiterhaufen errichten.
Kein Ende in Sicht
Moralische und rechtliche Bedenken
Erst Ende des 17. Jahrhunderts stabilisieren sich die ökonomischen, klimatischen und politischen Verhältnisse. Die Verfolgungen werden für die herrschenden Eliten zunehmend zum Störfaktor. Im Zeitalter der Aufklärung wird wissenschaftlichen Erkenntnissen mehr Bedeutung zugemessen als Magie und Aberglaube.
Während des gesamten 18. Jahrhunderts sind Hexenprozesse eher eine Seltenheit. Nur in entlegenen Gebieten auf dem Land kommt es noch zu vereinzelten Hinrichtungen. Die Aufklärer gewinnen mit ihren Schriften gegen die Hexenverfolgungen langsam Oberhand über die konservativen Kleriker.
Als 1782 in der Schweiz die letzte angebliche Hexe hingerichtet wird, entfacht dies eine empörte öffentliche Debatte über die rechtlich zweifelhaften Grundlagen des Prozesses.
Die Rechtsprechung wird fast überall reformiert, um 1800 sind alle Magiedelikte aus den Gesetzestexten verschwunden. Ein dunkles Kapitel der europäischen Geschichte findet sein Ende. Schätzungsweise 50.000 Menschen sind den Hexenverfolgungen der frühen Neuzeit zum Opfer gefallen, davon etwa 80 Prozent Frauen.
(Erstveröffentlichung 2006. Letzte Aktualisierung 09.04.2020)
Quelle: WDR