Die Flotte – ein Kindertraum des Kaisers
Schon als kleiner Junge entwickelt Wilhelm II. eine große Leidenschaft für die Seefahrt. Als Kind zu Besuch bei seiner Großmutter Queen Viktoria von England bewundert er die englischen Schiffe, und schon früh träumt der spätere Kaiser Wilhelm II. von einer eigenen Flotte – also einer größeren Gruppe von eigenen Kriegsschiffen.
Wilhelm beschäftigt sich intensiv mit Schiffbau, zeichnet, malt und konstruiert selbst den Bauplan für seine Dampfjacht Hohenzollern.
Das Talent zum Malen hat Wilhelm von seiner Mutter geerbt und es macht ihm offensichtlich viel Spaß: "Wenn ich das Talent gehabt hätte, wäre ich kein Kaiser, sondern Marinemaler geworden." Bis er seinen Traum von einer eigenen Flotte verwirklichen kann, soll es aber bis in die 1890er-Jahre dauern.
Mit starker Flotte zu einem "Platz an der Sonne"
Wilhelm II. will das Deutsche Reich zur Weltmacht führen. Dazu gehört es, sich Kolonien und Einfluss zu sichern. Reichskanzler Bernard von Bülow fordert stellvertretend "einen Platz an der Sonne" für das Reich. Ohne eine große Flotte, da ist sich Wilhelm II. sicher, kann es diesen Platz nicht geben.
Die Voraussetzungen für dieses Vorhaben sind günstig. Die Wirtschaft boomt. Die deutsche Schwerindustrie ist der weltweit größte Stahlproduzent.
Vor diesem Hintergrund wird der "Deutsche Flottenverein" gegründet. Schnell wächst die Mitgliederzahl auf über eine Million. Die Euphorie für den kaiserlichen Traum einer Flotte findet großen Rückhalt in der deutschen Bevölkerung.
Zur Eröffnung des Freihafens in Stettin 1898 sagt der Kaiser in seiner Eröffnungsrede: "Unsere Zukunft liegt auf dem Wasser". Im selben Jahr verabschiedet der deutsche Reichstag das erste deutsche Flottengesetz.
Bau einer Flotte
Großadmiral Alfred von Tirpitz wird mit der Aufgabe betraut, eine Flotte zu bauen, die der britischen Flotte ebenbürtig ist. In mehreren Flottengesetzen wird das finanziell anspruchsvolle Projekt auf den Weg gebracht. Der Etat steigt im Lauf der Jahre von einem Zehntel auf drei Zehntel der gesamten Militärausgaben.
Die Flotte soll 60 Prozent des Umfangs der britischen Flotte erreichen. Schwergepanzerte und feuerstarke Linienschiffe sollen Deutschlands Küste verteidigen und den Handelsverkehr schützen. Weiterhin erhofft man sich als starke Seemacht eine größere Attraktivität als Bündnispartner.
Die kaiserliche Marine erreicht auf jeden Fall in Deutschland schon schnell große Popularität. Sie bietet sowohl Söhnen aus bürgerlichen wie aus armen Verhältnissen eine gute Möglichkeit, ohne finanzielle Unterstützung Karriere zu machen.
Die Ängste im Ausland
Deutschlands Nachbarn nehmen den Flottenbau sehr kritisch zur Kenntnis. Wirtschaftlich ist das Kaiserreich schon eine Macht, das Deutsche Heer gilt als eine der größten Militärmächte der Welt – und jetzt wollen die Deutschen auch noch die Weltmeere erobern.
Der Flottenbau schürt somit die Angst vor einem übermächtigen Deutschen Reich: "Die Hämmer, die auf den Werften von Kiel und Wilhelmshaven erklangen, schmiedeten die Koalition, an der Deutschland zugrunde ging", sagte Winston Churchill, der spätere britische Premierminister.
Es ist dieses Erstarken Deutschlands auf vielen Gebieten, das Russland, Frankreich und Großbritannien gegen Deutschland gemeinsam in Stellung bringt. Dass die Ängste der Nachbarn vor der Stärke der deutschen Flotte allerdings unbegründet waren, zeigt sich im Ersten Weltkrieg: Da spielt die Flotte des deutschen Kaisers keine große Rolle.
(Erstveröffentlichung 2014, letzte Aktualisierung 31.03.2017)