Mikroskopaufnahme eines halb durchsichtigen Wurmes.

Parasiten

Wie Parasiten ihre Opfer steuern

Ein Parasit ist ein ungebetener Gast, der seinem Wirt Schaden zufügt. Die raffiniertesten unter ihnen haben im Laufe ihrer Evolution sogar die Fähigkeit entwickelt, das Verhalten und die Psyche ihres Wirts zu ihrem eigenen Vorteil zu manipulieren.

Von Cora Richter

Blinkende Fische

Die Forscher Kevin Lafferty und Jenny Shawn von der Universität Kalifornien untersuchten Killifische im "Carpinteria Salt Marsh Reserve"-Gebiet bei Santa Barbara. Dabei entdeckten sie bei einigen Tieren ein seltsames Verhalten: Wenn sich Fressfeinde näherten, begannen die Fische mit hektischen Schwimmbewegungen.

Die Fische drehten sich und blinkten mit ihren silbernen Bäuchen, als wollten sie geradezu auf sich aufmerksam machen. Das Verhalten irritierte die Forscher, weil Killifische eigentlich scheue Tiere sind, die sich vor Feinden verstecken.

Untersuchungen zeigten, dass die Killifische häufig mit Larven eines Saugwurms infiziert waren. Diese Saugwurmlarven befallen das Gehirn und siedeln sich dort zu Tausenden an.

Es zeigte sich: Je mehr Parasitenlarven einen Fisch befallen haben, desto auffälliger benimmt er sich. Ein Indiz dafür, dass der Parasit tatsächlich die Ursache für die selbstmörderischen Schwimm-Manöver sein könnte. Die Untersuchungen zeigten, dass die Verhaltensweise bei infizierten Fischen fünfmal häufiger vorkommt als bei ihren nicht infizierten Artgenossen.

Tödliche Fremdsteuerung

Offensichtlich haben die Parasiten also Einfluss auf das Verhalten ihrer Wirte. Einen Einfluss, der durchaus Sinn ergibt. Denn für den Saugwurm ist der Fisch nur ein Zwischenwirt. Sein Endwirt sind Vögel. Nur im Körper von Vögeln kann sich der Parasit paaren und Eier legen. Für den Saugwurm ist es also überlebenswichtig, dass der von ihm befallene Killifisch im Magen eines Vogels endet.

Bei weiteren Studien zeigte sich dann, dass infizierte Fische mit ihrem Blinken tatsächlich auch leichter von den Watvögeln geschnappt werden. Sie wurden zehn- bis 30-mal häufiger gefressen als nicht-infizierte Fische. Strategie und Manipulation der Sauglarven funktionieren also hervorragend.

Natürliches Schutzverhalten wird lahmgelegt

Um die Auslöser der Manipulation besser zu verstehen, untersuchten die Biologen daraufhin die Gehirnflüssigkeit von infizierten und nicht infizierten Killifischen. Das Ergebnis: Sie fanden deutliche Unterschiede bei den beiden Botenstoffen Serotonin und Dopamin.

Vor allem die Menge an Serotonin war bei infizierten Fischen deutlich geringer. Normalerweise wird in Stresssituationen vermehrt Serotonin produziert, wodurch das Aggressionsverhalten und der Bewegungsdrang gehemmt werden. Die Fische verstecken sich.

Dieses natürliche Schutzverhalten wird durch die Parasiten offensichtlich lahmgelegt. Anstatt sich zu verstecken, benimmt sich der Fisch auffälliger und wird so zur leichten Beute.

Das manipulierende Verhalten durch die winzigen Parasiten setzt exakt dort an, wo es für den Parasiten überlebenswichtig wird. Das übrige Verhalten der Fische wird von ihnen jedenfalls nicht beeinflusst.

(Erstveröffentlichung 2017. Letzte Aktualisierung 19.07.2019)

Wie Parasiten Tiere in Zombies verwandeln

Von Cora Richter (SWR)

Sogenannte Neuroparasiten befallen das Nervensystem ihrer Wirte und manipulieren so deren Verhalten.

Nahaufnahme einer schwarzen Ameise.

Im Regenwald von Mittel- und Südamerika lebt eine Ameisenart namens Cephalotes atratus, die normalerweise vollständig schwarz gefärbt ist. Doch wenn sie von einem bestimmten, winzigen Fadenwurm (Myrmeconema neotropicum) befallen wird, kann dieser die Färbung und sogar das Verhalten der Ameise verändern.

Im Regenwald von Mittel- und Südamerika lebt eine Ameisenart namens Cephalotes atratus, die normalerweise vollständig schwarz gefärbt ist. Doch wenn sie von einem bestimmten, winzigen Fadenwurm (Myrmeconema neotropicum) befallen wird, kann dieser die Färbung und sogar das Verhalten der Ameise verändern.

Die infizierten Ameisen entwickeln dann einen prächtig rötlichen Hinterleib, den sie deutlich nach oben spreizen. Das führt dazu, dass sie wesentlich häufiger von Vögeln gefressen werden als ihre nicht-infizierten Kollegen. Und das ist auch im Interesse des Fadenwurms – denn der kann sich nur im Körper von Vögeln vermehren. Vögel sind also der "Endwirt" des Parasiten.

Die infizierten Ameisen klettern sogar auf Bäume, die rote Beeren tragen und verharren dort zwischen den Früchten. Vögel, die sich an den Leckerbissen bedienen, fressen so auch immer wieder die Ameisen. Dann vermehrt sich der Fadenwurm in den Vögeln und produziert Eier, die mit dem Vogelkot ausgeschieden werden. Schließlich tragen andere Ameisen den nahrhaften Vogelkot in ihre Nester und verfüttern diesen an ihre Larven – der Parasiten-Kreislauf beginnt von vorne.

Ein anderes Beispiel: Manche Kakerlaken wie die Amerikanische Großschabe (Periplaneta americana) sind das Opfer einer bestimmten Wespenart, die nur halb so groß wie die Schabe ist.

Wenn ein befruchtetes Weibchen der wunderschön blaugrün schimmernden Juwelwespe (Ampulex compressa) eine Kakerlake entdeckt, sticht sie zweimal zu. Mit dem ersten Stich lähmt sie die Vorderbeine der Schabe und hindert sie so an der Flucht. Der zweite geht gezielt hinter den Kopf ins Zentralnervensystem, in eine Region, die für den Fluchtreflex zuständig ist: das Protocerebrum.

Die Kakerlake wird durch das injizierte Gift wortwörtlich zur Marionette der Wespe. Willenlos lässt sie sich von der kleinen Wespe, die sie dafür an ihrem Fühler packt, wie ein Hund an der Leine in ein Erdloch führen. Dort legt die Juwelwespe ein Ei auf ihrem Opfer ab und verschließt den Nesteingang mit Steinchen. Die Kakerlake wird zum lebenden Nahrungsdepot ihres Nachwuchses.

Und auch Schnecken werden manchmal von Neuroparasiten befallen. Der Saugwurm Leucochloridium paradoxum beispielsweise verändert sowohl das Verhalten als auch das Aussehen seiner Opfer. Wenn die Larven des Wurms in den Verdauungstrakt der Schnecke gelangen, bilden sich lange Schläuche (Sporozysten) aus, die bis in die Fühler wandern. Diese lassen die Schneckenfühler deutlich anschwellen, beginnen auffällig zu pulsieren und sehen mit ihren leuchtenden Farben täuschend ähnlich aus wie Raupen. Das lockt hungrige Vögel an – den Endwirt des Saugwurms. Frisst ein Vogel nun so einen veränderten Fühler, pflanzen sich die Würmer in seinem Verdauungstrakt fort. Die befruchteten Eier werden durch den Vogelkot verbreitet und der Kreislauf beginnt von vorne.

Der Bandwurm Schistocephalus solidus gibt sich nicht mit einem Wirt zufrieden. Am Anfang seines komplizierten Lebenskreislaufs stehen winzige Ruderfußkrebse (Copepoda). Die Wurmlarve verändert das eigentlich zurückhaltende Verhalten des Krebses.

Denn der nächste Wirt, der dreistachelige Stichling, soll ihn fressen.  Daher präsentiert sich das kleine Tier förmlich dem Stichling und dieser schnappt nichts ahnend zu.

Nur im dreistacheligen Stichling kann die Larve enorm an Masse zulegen, in jedem anderen Fisch würde sie sterben. Der Wurm sorgt auch hier wieder dafür, dass sich der Fisch dem nächsten Wirt – einem Vogel – förmlich durch Verhaltensänderung aufdrängt.

Denn der infizierte Stichling schwimmt nahe an der Wasseroberfläche und wird so zur leichten Beute, etwa für einen Fischreiher. Der Vogel ist der Endwirt des Bandwurms: Hier kann sich der Parasit paaren und damit für Nachwuchs sorgen. Mit dem Vogelkot werden die frischen Wurmeier ausgeschieden und der Zyklus beginnt von vorne.

Der weibliche Sackkrebs-Parasit wächst im Inneren seines Wirtes heran, der weiblichen Krabbe Carcinus maenas. Am Hinterleib der Krabbe bildet er eine sackartige Ausstülpung mit Eiern aus. Genau dort, wo normalerweise die Krabbe selbst ihre Eier ablegt und behütet. Befallene Wirtskrabben werden nun von männlichen Sackkrebsen zur Befruchtung der Eier aufgesucht. Die Wirtskrabben werden so manipuliert, dass sie den "Kuckucksnachwuchs" behüten und pflegen, als wäre es ihr eigener.

Das Verhalten von Ameisen in den Tropen und Subtropen wird durch eine parasitische Schlauchpilzart (Ophiocordyceps unilateralis) manipuliert. Die Sporen des Pilzes keimen auf dem Exoskelett von Ameisen, vor allem auf Tieren der Gattung Ross-, beziehungsweise Holzameisen (Camponotus). Der Pilz infiziert schließlich das zentrale Nervensystem der Insekten und führt zu Verhaltensänderungen: Nach drei bis sechs Tagen klettern die Ameisen hoch in die Kronen von Bäumen. Oben angekommen, beißt sich die Ameise fest und verharrt. Der Pilz tötet seinen Wirt und bildet Fruchtkörper, die aus dem Leichnam herauswachsen. Die Sporen fallen nun vom Baum herunter und infizieren neue Ameisen. Immer wieder finden sich regelrechte Ameisenfriedhöfe in den Baumwipfeln.

Der Baculovirus befällt die Raupen des Schwammspinners (Lymantria dispar), einem gefürchteten Forstschädling. Der Virus zerstört ein Hormon, das den Raupen Sättigung signalisiert und den Befehl zur Verpuppung gibt. Die Raupen fressen dadurch hemmungslos weiter und gelangen in ihrem Fressrausch bis in die Wipfel der Bäume – daher der Name "Wipfelkrankheit". Die Raupen fressen tatsächlich so lange weiter, bis sie platzen. Die Innereien mit ihrer Virenfracht segeln durch die Lüfte und landen auf weiteren Gelegen des Schwammspinners. Und schon infizieren sich weitere frisch geschlüpfte Raupen.

Einer der ersten Gehirnparasiten, deren Verhalten eingehend erforscht wurde, ist der Kleine Leberegel (Dicrocoelium dendriticum). Seine Vermehrungsstrategie ist ziemlich ausgeklügelt. Denn er benutzt gleich mehrere Wirte.

Am Anfang steht die Schnecke, die sich unter anderem vom Kot von Weidetieren wie Schafen oder Rindern ernährt. Sind Eier des Leberegels im Kot, entwickeln sich diese in der Schnecke zur Larvenform (Zerkarien) des Parasiten. Die Larven wandern in die Atemhöhle der Schnecke. Hier werden sie in Form kleiner Schleimbällchen von der Schnecke ausgeschieden.

Ameisen haben die Schneckenschleimbällchen zum Fressen gern. Kaum verspeist, beginnt der Wurm aktiv den neuen sechsbeinigen Wirt zu manipulieren. Er wandert in das Gehirn der Ameise und verändert ihr Verhalten. Die Tiere verlassen nachts die Sicherheit ihres Baus und krabbeln bis zur Spitze eines Grashalmes, um sich dort zu verbeißen.

Das eigentliche Ziel des Parasiten ist die Leber eines Wiederkäuers, wie etwa von einem Schaf oder einem Rind. Nur hier, in seinem Endwirt, kann er sich paaren und vermehren. An der Spitze eines Grashalms stehen die Chancen dafür besonders gut. Bleibt der Ameise der Tod erspart, wandert sie zurück ins Nest – um in der folgenden Nacht von Neuem aufzubrechen, so lange, bis ein Weidetier sie verspeist.

Quelle: SWR

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