Frau mit Händen am Kopf

Medizin

Psychosomatik

Die Seele kann den Körper krank machen – das wussten die Menschen schon vor mehreren Jahrtausenden. Doch erst im 20. Jahrhundert entstand für das Zusammenspiel von Seele und Körper ein eigenes Fachgebiet: die Psychosomatik.

Von Martina Frietsch

Entstehung der Psychosomatik

Körper und Seele sind untrennbar miteinander verbunden und beeinflussen sich gegenseitig. So kann die Seele maßgeblich am Entstehen körperlicher Leiden beteiligt sein, für die sich keine organische Ursache finden lässt.

Davon war schon in der Antike der griechische Arzt Hippokrates (etwa 460 bis 377 vor Christus) überzeugt. Er bemerkte beispielsweise, dass das menschliche Herz sich bei Freude erweitert und bei Angst zusammenzieht.

So stammt der Begriff "psychosomatisch" denn auch aus dem Griechischen: "psyche" bedeutet Seele, Atem oder Hauch; "soma" ist der Körper.

Hippokrates, Kupferstich aus dem 16. Jahrhundert.

Hippokrates

Auch die Bibel liefert zahlreiche Belege für ähnliche Ansichten: So enthalten zum Beispiel die Sprüche Salomons den Rat: "Ein fröhliches Herz bringt gute Besserung, ein zerschlagener Geist vertrocknet das Gebein" (Sprüche 17,22).

Mittelalter: die unsterbliche Seele

Im Mittelalter änderte sich diese Meinung in Europa. Die Kirche trennte nun streng zwischen Seele und Körper: Die Seele war nach der christlichen Lehre von Gott geschaffen und unsterblich.

Schmerzen waren demnach etwas, was nicht behandelt werden durfte, sondern ertragen werden musste. Schmerz galt als Strafe Gottes, die Erlösung davon als Gnade Gottes.

17. Jahrhundert: die endgültige Trennung

Im 17. Jahrhundert befasste sich der französische Philosoph René Descartes mit dem "Leib-Seele-Problem" und kam in seinen "Meditationen" zu dem Schluss: Eine Seele ohne Körper sei vorstellbar, also müssten beide getrennt existieren. Den menschlichen Körper betrachtete Descartes als etwas rein Mechanisches.

Mit dieser Ansicht setzte sich Descartes durch – und das gleich für mehrere hundert Jahre. Fortan konzentrierte sich die Medizin fast ausschließlich auf das rein Körperliche und ließ psychische Faktoren außer Acht. Es folgte eine Zeit großer medizinischer Entdeckungen und Fortschritte.

Im 20. Jahrhundert änderte sich der Blick auf den Menschen und seine Krankheiten abermals: Mit dem rein Organischen ließ sich nicht alles erklären. Die Erforschung der Seele, die ganzheitliche Betrachtung des Menschen und vor allem das Zusammenspiel von Körper und Seele rückten wieder ins Blickfeld der Medizin.

20. Jahrhundert: Freud ebnet den Weg

Sigmund Freud befasste sich zwar nicht mit Psychosomatik, aber mit seiner Psychoanalyse bereitete er den Weg. Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert untersuchte er das Problem der damals weit verbreiteten Hysterie und kam zu dem Schluss, dass nicht oder nicht vollständig verarbeitete psychische Probleme sich in körperlichem Leiden ausdrücken.

Sigmund Freud mit Zigarre auf Korbsessel

Sigmund Freud

In den 1950er-Jahren schlug dann die Stunde der Psychosomatik: Der US-Wissenschaftler Franz Alexander, der sich wie etliche andere mit psychosomatischen Symptomen beschäftigte und viele Theorien Freuds in Frage stellte, veröffentlichte das Grundlagenwerk "Psychosomatische Medizin".

Er beschrieb darin sieben klassische psychosomatische Erkrankungen (von denen heute einige nicht mehr dazuzählen) und seine Theorie, nach der es einen Zusammenhang zwischen einem bestimmten psychischen Konflikt und der Reaktion des Körpers gebe.

Heute weiß man, dass dies nicht so ist: Das gleiche Symptom kann bei verschiedenen Patienten auch ganz verschiedene Ursachen haben.

In Deutschland war Thure von Uexküll einer der Pioniere der Psychosomatik, der im Lauf mehrerer Jahrzehnte das Fach etablierte und eine Reform des Medizinstudiums initiierte, um die Ausbildung mehr auf die Patienten auszurichten.

Thure von Uexküll vertrat auch die Ansicht, die Psychosomatik solle nicht innerhalb bestimmter medizinischer Fachgebiete arbeiten, sondern fachübergreifend.

Die aktuellen Entwicklungen in der Medizin geben ihm recht: Nach und nach wird erkannt, wie sehr das Organische, die Psyche, die Umwelt und die Lebenserfahrungen zusammenwirken.

Psychosomatik heute

Deutschland verfügt im internationalen Vergleich über eine sehr große Zahl an psychosomatischen Klinikbetten. Die Anzahl der Patienten, bei denen die Schulmedizin keine organische Ursache für Erkrankungen feststellen kann, wird auf 20 bis 40 Prozent geschätzt.

Und die Erfolge, die die Psychosomatik bei vielen Erkrankungen verbuchen kann, sind weitgehend unbestritten. Die Psychosomatik hat die Exotenecke verlassen und ist etabliert – sollte man meinen.

Doch noch immer bringen viele Patienten eine wahre Ärzte-Odyssee hinter sich, ehe sie zu einem Psychosomatiker überwiesen werden. Mitunter suchen verschiedene Fachärzte jahrelang nach organischen Ursachen für ein Leiden, ohne je fündig zu werden.

Eine Studie der Universitätsklinik Mainz ergab: Durchschnittlich vergehen sieben bis acht Jahre, bis beispielsweise bei Schmerzpatienten psychische Gründe als Ursache erkannt werden.

Viele Patienten sind über die Weiterbehandlung bei einem Psychosomatiker auch zunächst nicht glücklich: Oft hat das "psychosomatische" Leiden ein schlechtes Image – bei den Patienten, bei ihrer Umgebung und auch bei den großen Rivalen, den Psychiatern.

Der Vorwurf, das Leiden sei – wenn auch unbewusst – selbst verursacht, schwingt oft mit. Für die Patienten ist die Diagnose "psychosomatisch" mitunter schwer zu verstehen, da sie sich ja körperlich und nicht psychisch krank fühlen.

Eine erschöpfte Geschäftsfrau in einem Büro

Schmerzen können durch die Psyche verursacht werden

Das eindeutig erkennbare psychosomatische Leiden gibt es nicht. Doch inzwischen ist eine Anzahl von Erkrankungen bekannt, die in vielen Fällen psychosomatische Ursachen haben und so auch mit Erfolg behandelt werden können.

Dazu zählen Schwankschwindel, viele Schmerzerkrankungen wie Spannungskopfschmerzen oder Fibromyalgie, Herz-Angst-Neurosen, Tinnitus und Essstörungen, um nur einige zu nennen.

Bei etlichen anderen Erkrankungen hingegen ist inzwischen bekannt, dass sie organischen Ursprungs sind und entsprechend behandelt werden müssen: So handelt es sich bei Gelenkrheuma um eine Autoimmunerkrankung. Die Schilddrüsenüberfunktion hat gleich mehrere Ursachen, die wichtigste ist die Autoimmunerkrankung Morbus Basedow.

Auch ein Magen- oder Zwölffingerdarmgeschwür kann man sich nicht einfach durch Ärger und Stress zuziehen – hierfür ist das Bakterium Helicobacter pylori verantwortlich, das sich in der Magenschleimhaut einnistet.

Lange Zeit wurde auch spekuliert, dass manche Krebserkrankungen möglicherweise psychosomatische Ursachen haben. Auch diese Annahme ist vom Tisch.

Dennoch kann die Psychosomatik bei einer solchen Erkrankung Begleiterscheinungen wie beispielsweise Angst und Depressionen mindern und so die Lebensqualität verbessern.

Gerade weil die Psychosomatik nicht nach einer einzigen Ursache für eine Erkrankung sucht, sondern den ganzen Menschen und die Wechselwirkungen zwischen Körper und Seele betrachtet, kann sie in solchen Fällen wirkungsvoll sein.

Quelle: SWR | Stand: 07.01.2020, 14:30 Uhr

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