Deutschlands Einheit und die NATO Planet Wissen 28.08.2023 02:17 Min. Verfügbar bis 28.08.2028 ARD-alpha

Nato

Die Nato nach 1989

Die Geschichte der Nato teilt sich auf in eine Phase vor und nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Nach 1989 versteht sich die Nato zunehmend als Weltpolizei. Aber es gibt auch massive Kritik aus den eigenen Reihen.

Von Beate Krol

Die Nato sucht neue Aufgaben

1969 schlägt US-Präsident Richard Nixon vor, die Nato zu vergrößern. Dabei geht es ihm nicht um neue Mitglieder. Nixon will ein drittes Standbein schaffen: Zur militärischen und politischen Nato soll eine zivile Nato kommen.

Damals läuft die Idee ins Leere. Die Nato befindet sich im Kalten Krieg und die beiden Blöcke übertrumpfen sich darin, ihre Nuklearwaffen-Arsenale aufzufüllen. Sich zusätzlich mit globalen Umweltaufgaben und dem Treibhauseffekt zu beschäftigen, wie es Nixon unter anderem vorgeschlagen hatte, passt nicht dazu.

Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 ändert sich die Lage. Ohne ihren kommunistischen Widerpart kann die Nato neue Aufgaben gut gebrauchen. Zwar will sie sich nach wie vor nicht um Umweltfragen kümmern, aber sie bietet den Vereinten Nationen und der OSZE an, Einsätze zur Friedenssicherung zu übernehmen.

Außerdem will sie sich auch außerhalb ihres Territoriums für liberale und demokratische Werte einsetzen, gegebenenfalls auch ohne UN- und OSZE-Mandat.

Ein anderes Ziel besteht darin, Partner-Netzwerke zu knüpfen. Dazu legt die Nato mehrere Programme auf: Der Mittelmeer-Dialog richtet sich an Staaten in Nordafrika und im Nahen Osten, die Istanbul-Kooperation wirbt um die Länder der Arabischen Halbinsel und das Partnership for Peace-Programm hat die ehemaligen Ostblock-Staaten im Blick sowie die europäischen Staaten, die nicht Mitglied der Nato sind.

Später kommt noch die Gruppe Partners across the Globe hinzu, die Staaten in Asien und Ozeanien an die Nato binden will.

Deutsche und belgische Soldaten beim Nato-Manöver. | Bildquelle: IMAGO/photothek

Die Nato stellt sich neu auf

Mit den neuen Aufgaben und Zielen geht auch eine neue Militär-Struktur einher. Die kollektive Verteidigung der Mitgliedsstaaten bleibt zwar als Kernaufgabe bestehen, aber weil die Nato die Gefahr, dass Russland ihr Territorium angreift, als verschwindend gering einstuft, reduziert sie ihre Streitkräfte erheblich.

Bis 1997 verlassen zwei Drittel der in Europa stationierten US-amerikanischen Nato-Soldaten ihre Kasernen. Außerdem werden alle landgestützten taktischen Atomwaffen aus Europa abgezogen. Auch die Landstreitkräfte, Marine und Luftwaffe verkleinert die Nato deutlich.

Gleichzeitig versucht das Bündnis flexibler und schlagkräftiger zu werden. Je nach Einsatz sollen die Truppen immer wieder neu zusammengesetzt und um Partner ergänzt werden. Dafür halten die Nato und ihre Partner-Staaten gemeinsame Manöver und Ausbildungseinheiten ab und gewähren sich gegenseitig Einblick in ihre Waffenarsenale und Militärstrategien.

Die Zukunft der Nato – mehr Europa? Planet Wissen 29.05.2023 02:43 Min. Verfügbar bis 23.09.2027 SWR

Die Nato als Weltpolizei

In dieser Phase beginnt sich die Nato zu einer Art Weltpolizei und militärischem Arm der UN zu entwickeln. Besonders deutlich wird das in den Jugoslawien-Kriegen. Die Nato überwacht mit ihren Partnern auf Beschluss des UN-Sicherheitsrats Waffen- und Handelsembargos, setzt Flugverbotszonen durch, schützt UN-Friedenstruppen und OSZE-Beobachter und die Bewohner von UN-Schutzzonen.

Aber sie überschreitet die ihr gesetzten Grenzen auch. Die Luftangriffe im Kosovo von März bis Juni 1999 fliegt die Nato ohne UN-Mandat und verstößt damit gegen das Völkerrecht.

Gleichzeitig erlebt die Nato mit den Terroranschlägen am 11. September 2001 ihren ersten Bündnisfall. Auf Wunsch der USA beschränkt sich die Allianz allerdings darauf, den "war on terrorism" durch Maßnahmen wie eine engere Zusammenarbeit der Nachrichtendienste oder der Gewährung von Überflugrechten zu unterstützen.

Dass sich die Nato-Staaten militärisch beteiligen, lehnen die USA ab. Im Kosovo-Einsatz hatte es aus ihrer Sicht zu viele zeitraubende Diskussionen unter den Bündnispartnern gegeben. Außerdem fehlen den meisten Nato-Partnern die militärischen und technologischen Fähigkeiten, um gegen das Terrornetzwerk vorzugehen.

Die Flagge der NATO | Bildquelle: IMAGO/Panama Pictures

Die internen Konflikte weiten sich aus

Nur anderthalb Jahre später, im März 2003, gerät die Nato in eine schwere Krise. Frankreich, Belgien und Deutschland stellen sich gegen die US-geführte Militärintervention im Irak.

Auch wenn die Nato-Staaten bei anderen Einsätzen weiter zusammenarbeiten – darunter der ISAF-Einsatz unter Nato-Kommando in Afghanistan –, bleiben die Spannungen bestehen.

US-Präsident Donald Trump droht 2017 mit dem Austritt auf der Nato. | Bildquelle: imago/ZUMA Press

Die Krise erreicht ihren Höhepunkt im Januar 2017, als US-Präsident Donald Trump das Bündnis für überflüssig erklärt und damit droht, es zu verlassen. Aus seiner Sicht ruhen sich die europäischen Nato-Staaten auf Kosten der USA aus.

Tatsächlich hatten die europäischen Nato-Staaten nach dem Ende der Sowjetunion ihre Verteidigungsausgaben stark reduziert und die Hauptlast den USA überlassen.

Im November 2019 macht auch der französische Präsident Emmanuel Macron mit einer harten Nato-Kritik Schlagzeilen. Er bezeichnet das nunmehr 70 Jahre alte Verteidigungsbündnis als "hirntot" und fordert die europäischen Staaten dazu auf, mehr Verantwortung in der Nato zu übernehmen.

Die Beziehungen zu Russland verschlechtern sich

Damit nimmt die Diskussion über eine fairere Lastenverteilung langsam an Fahrt auf. Die europäischen Nato-Staaten sichern zu, mehr Geld für die Verteidigung auszugeben, um mehr zur Nato beitragen zu können.

Wirklich geeint wirkt die Nato aber erst, als Russland am 24. Februar 2022 die Ukraine überfällt, die seit 1997 Nato-Partner ist. Die Beziehungen zwischen den Nato-Staaten und Russland hatten sich bereits seit dem Kosovo-Einsatz, den Russland im UN-Sicherheitsrat abgelehnt hatte, wieder verschlechtert.

Auch den Nato-Einsatz 2011 in Libyen und die Nato-Osterweiterung lehnte der nach neuer Größe strebende Kreml ab. Als Russland 2014 die Krim annektiert, wird Russlands Mitgliedschaft im Partnership for Peace-Programm und der in der Nato-Russland-Grundakte vereinbarte Nato-Russland-Rat endgültig auf Eis gelegt.

Der Angriff Russlands auf die Ukraine führt auch dazu, dass Finnland und Schweden 2022 um Aufnahme in die Nato bitten.

Das Nato-Manöver "Cold Response" Planet Wissen 29.05.2023 03:27 Min. Verfügbar bis 23.09.2027 SWR

UNSERE QUELLEN

  • Johannes Varwick: Nato in (Un-)Ordnung – Wie transatlantische Sicherheit neu verhandelt wird. Wochenschau Verlag
  • Falk Ostermann: Die Nato. Institution, Politiken und Probleme kollektiver Verteidigung und Sicherheit von 1949 bis heute. utb
  • Mathias Dembinski und Caroline Fehl (Hrsg.): Atlantische Zukünfte. Eine vergleichende Analyse nationaler Debatten über die Reform der Nato. Friedrich-Ebert-Stiftung
  • Recherche-Gespräche mit Dr. Mathias Dembinski, Dr. Caroline Fehl und Prof. Johannes Varwick.