Tauchen
Die Grenzen des Tauchbaren
Auf dem Weg in die Tiefen der Ozeane steigt der Wasserdruck mit jedem Meter. Die Umgebung wird lebensfeindlicher, das Risiko für den Taucher nimmt zu. Trotzdem gab es immer wieder Versuche, die Tiefen des Meeres zu ergründen.
Von Anke Riedel
Rekorde auf dem Weg in die Tiefe
Im Jahr 1992 erreichten Taucher eines französischen Unternehmens eine theoretische Tiefe von 701 Metern. Theoretisch deshalb, weil sich die Taucher des Projektes Hydra bei diesem Experiment der Superlative in einer Druckkammer befanden und nicht 700 Meter unter der Wasseroberfläche.
Dennoch gilt diese Marke bis heute als absoluter Tiefenrekord. Die Belastung für den Körper ist enorm: In 701 Metern Tiefe herrscht ein Wasserdruck von 70,1 bar. Denn auf dem Weg nach unten steigt der Druck um 0,1 bar pro Meter. Die Zeit, um diesen Druck wieder auszugleichen – die Dekompressionsphase – betrug für die Probanden mehr als 550 Stunden.
Auch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt forschte in den 1990er-Jahren in Sachen Tieftauchen. Die Erkenntnisse aus diesen Tests waren für die Raumfahrt interessant, da sie Informationen über Isolation, Gasgemische, Entwicklung von Raumanzügen und das Arbeiten unter Druck bringen sollten. Höhepunkt und Abschluss dieser Versuche war ein Tauchgang auf 615 Meter Tiefe.
Die Tieftauch-Forschung ist nicht nur aufwendig, sondern auch teuer. Zudem zeigten die Ergebnisse der Tests: Ein verlässliches Arbeiten ist in dieser Tiefe nicht mehr möglich. Die Erforschung der Meere oder Wartungsarbeiten in extremen Tiefen übernehmen deshalb heute Maschinen.
Statt auf Manpower setzen Wissenschaft, Industrie und Militär auf ferngesteuerte Unterwasserfahrzeuge oder auf Tauchgeräte, die den Menschen vor dem hohen Umgebungsdruck schützen. Die spannende Frage, ob Tauchgänge im vierstelligen Meterbereich möglich wären, wird wohl eine theoretische bleiben.
Tauchroboter ersetzen Menschen in großen Tiefen
Fistelstimme aus der Tiefe
Auf dem Weg in die Tiefe ist vor allem das richtige Atemgasgemisch entscheidend. Ohne Sauerstoff geht es nicht – doch hier liegt ein Problem: Je nach Temperatur, Umgebungsdruck und Arbeitsbedingungen unter Wasser wirkt reiner Sauerstoff in der Tiefe toxisch, es droht eine Sauerstoffvergiftung.
Ohne Vorwarnung kann den Taucher ein Krampfanfall überraschen, der sich am ehesten mit einem epileptischen Anfall vergleichen lässt.
Deshalb ist die Pressluft der Sporttaucher gewöhnlich mit Stickstoff angereichert. Doch auch dieses Gemisch hat Tücken.
Mit steigendem Druck kann der Tiefenrausch einsetzen, ein Zustand, der von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich empfunden wird. Dieser Rausch kann mit Angstzuständen oder Euphorie einhergehen und bis zur Bewusstlosigkeit führen. Deshalb sollten Sporttaucher nur bis maximal 40 Meter tief gehen.
Für Berufstaucher beginnt der Arbeitseinsatz jedoch häufig erst unterhalb von 40 Metern. Soll es also noch tiefer gehen, kommt zum Beispiel Heliox, eine Mischung aus Sauerstoff und Helium, zum Einsatz.
Jeder, der schon einmal Helium eingeatmet hat, kennt den Effekt: Die Stimme wird hoch und verzerrt. Das erschwert die Kommunikation der Taucher mit der Crew an Deck des Schiffes natürlich gewaltig.
Um die Stimmen der Taucher verstehen zu können, werden Unscrambler eingesetzt, elektronische Geräte zur Sprachentzerrung.
Doch trotz Entzerrer ist die Fistelstimme aus der Tiefe meist nur für Profis zu verstehen, die selbst schon mit diesen Heliumgemischen im Einsatz waren.
Das richtige Atemgasgemisch ist entscheidend
Wochenlang unter Druck
Um 30 Minuten in 100 Metern Tiefe zu bleiben, müsste ein Taucher viele Stunden auf dem Weg nach oben dekomprimieren. Gase wie Stickstoff oder Helium, die der Taucher über sein Atemgemisch aufnimmt, lösen sich unter Druck im Körper.
Wer zu schnell auftaucht, riskiert Lähmungen oder Schlimmeres, denn das Gas perlt dann aus und kann Blut- oder Nervenbahnen blockieren. Ein Effekt wie eine Sprudelflasche, die zu schnell geöffnet wird.
Um zum Beispiel Ölpipelines in 180 Metern Tiefe zu reparieren, kommen deshalb Sättigungstaucher zum Einsatz. Sie können theoretisch beliebig lang in der gleichen Tiefe bleiben, da ihre Körper ab einer bestimmten Gasmenge gesättigt sind. Der Gasdruck im Körpergewebe und der Umgebungsdruck sind dann identisch, die Gefahr des Ausperlens ist gebannt.
So kann ein Taucher, der in einer Druckkammer konstant unter dem gleichen Druck gehalten wird, wochenlang arbeiten. Der Tauchgang wird so künstlich in die Länge gezogen. Und der zeitraubende Aufstieg wird erst am Ende der Arbeitseinheit fällig.
Ohne die Druckkammern würde ein Taucher mehr Zeit mit der Dekompression als mit der eigentlichen Arbeit verbringen.
In der Druckkammer im Schiffsbauch
Körper und Geist am Limit
Mit jedem Meter in die Tiefe wächst die Gefahr für den Taucher. Dabei macht nicht nur der große Umgebungsdruck zu schaffen – der menschliche Körper besteht zu großen Teilen aus Wasser und hält den Druck vergleichsweise gut aus. Auch die psychische Belastung ist enorm.
Die Atmung fällt schwerer, im Reizleitungssystem der Nerven kann es zu Ausfällen kommen und gelegentlich treten Halluzinationen auf.
Trotzdem ist der Mensch zu fast unglaublichen Rekorden fähig: In der Disziplin "No Limit" tauchte der österreichische Apnoetaucher Herbert Nitsch 2007 214 Meter tief. Mit einem einzigen Atemzug.
Fünf Jahre später scheiterte Nitsch beim Versuch, seinen eigenen Rekord auf 244 Meter zu vergrößern. Er verlor dabei das Bewusstsein und erlitt die Taucherkrankheit. Nach dem Unfall wurde beschlossen, keine weiteren Rekorde in der Disziplin "No Limit" mehr anzunehmen.
Die Tiefe, in der ein Mensch noch sinnvolle Arbeiten unter Wasser verrichten kann, ist nicht klar zu bestimmen: Es gibt Berufstaucher, die regelmäßig in 180 Metern Tiefe konzentriert Schweißnähte ausbessern.
Ebenso unklar ist die Dauer: Ein Tauchgang sollte für Berufstaucher 28 Tage nicht überschreiten – der Sättigungstauchgang des Deutschen Institutes für Luft- und Raumfahrt auf 615 Meter dauerte sogar 40 Tage.
Apnoetaucher Herbert Nitsch taucht 214 Meter tief
(Erstveröffentlichung 2012. Letzte Aktualisierung 13.07.2020)
Quelle: WDR