Vorläufer der Autobahnraststätten
Gastfreundschaft zu gewähren und in Anspruch zu nehmen, gehört zu den ältesten Tugenden unter kultivierten Menschen. In den noch sehr dünn besiedelten Gebieten des heutigen Europas und des Mittelmeerraums war man auf dieses Geben und Nehmen angewiesen, wenn man auf langen und beschwerlichen Reisen nicht verhungern und verdursten wollte.
Ein einfaches Nachtlager auf dem Heu machte dem Gastgeber auch keine großen Umstände. Man kann sogar von einem regelrechten Gesetz der Gastfreundschaft sprechen, das in vorchristlicher Zeit und im Mittelalter zum Verhaltenskodex gehörte.
Eine erste kommerzielle Form von Gastlichkeit entwickelte sich bereits im 3. Jahrtausend vor Christi Geburt im Orient. Sie ging mit der zunehmenden Reise- und Handelstätigkeit der Menschen einher.
Besonders an den Hauptverkehrswegen entstanden Herbergen, in denen Speise, Trank und Unterkunft gegen Bezahlung angeboten wurden. Versorgt wurden dort auch die mitgeführten Last- und Reittiere. Damit entstand sozusagen ein früher Vorläufer der Autobahnraststätte.
Zu dieser Bewirtung in ländlichen Gebieten kamen später in den Hochkulturen der Antike, in Mesopotamien, Ägypten, dem heutigen Griechenland und im Römischen Reich dicht besiedelte Ballungsräume und Städte, deren Bürger auch gastronomisch versorgt sein wollten.
Auf ein Bier ins Zweistromland
Schriftliche Überlieferungen beweisen, dass schon im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris, dem heutigen Irak, in Bierschenken den Gästen verschiedene Bierspezialitäten angeboten wurden. Das Brauhandwerk war Sache der Frauen, deshalb gelten sie als die Pioniere des Gastgewerbes.
Damit die Gastwirtinnen keine Wucherpreise für das begehrte Getränk nahmen, legte König Hammurabi um 1700 vor Christus auf seinen Gesetzestafeln die korrekte Preisgestaltung für den Bierverkauf fest. Bier sollte demzufolge nicht mit harter Silberwährung entlohnt werden, sondern mit Getreide.
Die Griechen der Antike begeisterten sich mehr für den Wein. In den Städten und größeren Orten gab es Verkaufsläden, in denen man neben Waren des täglichen Bedarfs auch Wein kaufen oder an Ort und Stelle verkosten konnte.
Darüber hinaus wurden billige Schlafplätze angeboten, denn meist lagen diese Gasthäuser in zentraler Lage und in der Nähe von Tempelanlagen, die viele Besucher aus nah und fern anlockten.
Bei der Obrigkeit genossen diese Weinschenken allerdings keinen guten Ruf. Hohen Beamten war es strengstens verboten, diese Gasthäuser zu besuchen. Doch konnten viele der Verlockung wohl nicht widerstehen.
Fastfood bei den Römern
Ähnlich wie bei den Griechen sah auch die Gastronomie-Szene im antiken Römischen Reich aus. Gasthäuser gab es viele, aber sie waren bei der Oberschicht verpönt. Deren legendäre Orgien wurden nicht etwa in feudalen Restaurants abgehalten, sondern in den luxuriösen Behausungen der reichen Römer.
Dort ließ man von Sklaven auftischen. Die vielen Tavernen, die es in den Städten, auf dem Land und in der Nähe der Militärlager in den römischen Provinzen gab, waren dem gemeinen Volk vorbehalten.
Da viele Menschen der einfachen Bevölkerung über keine eigene Herd- oder Kochstelle verfügten, mussten sie für eine warme Mahlzeit Garküchen oder Imbissstände aufsuchen. Von diesen gab es unzählige in den großen römischen Metropolen.
Es waren zur Straße hin offene Ladenlokale mit gemauerten Theken, in die muldenartige Feuerstellen eingearbeitet waren. Darüber hingen große Kessel, in denen einfache Speisen garten. Wer es sich leisten konnte, bestellte Fleisch dazu, das auf offenem Feuer gegrillt wurde. Auch Wein wurde in verschiedenen Preis- und Qualitätsklassen angeboten.
Es war eine Art Fastfood-Gastronomie, denn Speis und Trank waren für den sofortigen Verzehr oder für die Mitnahme nach Hause bestimmt. Für Gäste, die verweilen wollten, stand meist nur ein kleiner Raum zur Verfügung, der spärlich möbliert war.
Neben den Garküchen buhlten auch Trinkstuben und Weinschenken um Kundschaft. Das Getränkeangebot dort wurde durch den Verkauf von Grundnahrungsmitteln ergänzt. Um Kunden anzulocken, benutzten die Römer bunte Wirtshausschilder, auf denen sie ihr Angebot anpriesen.
Von Klosterschänken und Zapfwirten
Mit dem Niedergang des römischen Imperiums um das Jahr 500 nach Christus verlor auch die Kneipenkultur an Bedeutung. Es brauchte Jahrhunderte, bis das Gastgewerbe wieder in Schwung kam. Vor allem die Klöster taten sich auf diesem Sektor hervor.
Durch ihre großen Küchen und ihre Kenntnisse im Bierbrauen waren die Mönche prädestiniert, Klosterschänken zu betreiben. Die Namen vieler historischer Gasthäuser, wie "Klosterbräu" oder "Klosterstube", deuten noch heute darauf hin.
Daneben entstanden, wie schon in vorchristlicher Zeit, an Verkehrsknotenpunkten Gasthäuser und Herbergen, die speziell auf die Bedürfnisse der Reisenden zugeschnitten waren.
Zu einem wahren Wirtshausboom führte die Entstehung der Städte im Spätmittelalter. Sogenannte Zapfwirte, die meist selbstgebrautes Bier und Wein aus eigener Herstellung anboten, gab es an jeder Ecke.
Damit die Stadtoberen den Überblick behielten, mussten die Wirte einen grünen Zweig sichtbar über ihrer Türe anbringen. Eine Tradition, die sich besonders in den Weinregionen bis heute gehalten hat. Für das leibliche Wohl in Form von einfachen Speisen sorgten die Kochwirte.
Mit der Zeit entstanden Gasthäuser, die Speisen, Getränke und Herbergszimmer gleichermaßen anboten. Dass in manchen dieser Lokalitäten auch der Prostitution nachgegangen wurde, rundete das Leistungsspektrum für den Kneipenbesucher des Mittelalters ab.
Die meisten Gastwirte des Mittelalters führten ihre Betriebe im Nebenerwerb und gingen ihren Hauptbeschäftigungen als Bäcker, Brauer oder Metzger nach. Den Gastwirt als ausschließlichen Hauptberuf kennt man erst seit dem 16. und 17. Jahrhundert.
Wirtshausschilder werden Pflicht
Als sich der Standard der Gasthäuser im 17. Jahrhundert erheblich verbesserte, kehrten reichere Schichten in die Häuser der gehobenen Kategorien ein. Vor allem, wenn sie sich mit ihrem Gefolge auf Reisen befanden, brauchten sie eine standesgemäße Unterkunft.
Damit jeder sehen konnte, wo sie Herberge bezogen hatten, stellten sie Schilder mit ihrem Wappen vor den Türen der Wirtshäuser auf. Für die Gastwirte eine gute Werbung, die sich bald verselbständigte.
Das Wirthausschild, das schon die Römer gekannt hatten, wurde mehr als 1000 Jahre später neu erfunden und sogar zur Pflicht. Für die städtischen Steuereintreiber und Kontrolleure waren diese Schilder ein wichtiges Orientierungsmerkmal.
Wichtiges Regelwerk jener Zeit waren die Wirtshausordnungen. Fast in ganz Europa galt der Paragraph, nach dem der Wirt jeden Gast, ob Edel- oder Bettelmann, seinem Stand gemäß und gegen entsprechende Bezahlung bewirten und beherbergen musste. Bei Personen mit ansteckenden Krankheiten musste dieser Paragraph, der bis ins 18. Jahrhundert Bestand hatte, allerdings nicht befolgt werden.
Gutbürgerlich und proletarisch
Ab Ende des 18. Jahrhunderts entstand allmählich der Wirtshaustyp, wie wir ihn heute kennen. Die wohnliche Einrichtung nach dem individuellen Geschmack des Besitzers und seine regionalen Küchen- und Getränkespezialitäten wurden zu wichtigen Unterscheidungsmerkmalen für die Gäste.
Parallel zu dieser "gutbürgerlichen" Gaststube – ein Attribut, das auch heute noch gebräuchlich ist – etablierten sich vor allem im dichten Gassengewirr der Großstädte düstere Spelunken, in denen sich halbseidenes Gesindel und armes Proletariervolk traf.
In den Arbeitervierteln der Industriemetropolen wurde der Alkohol zum vermeintlichen Hilfsmittel, um Abwechslung in den grauen Alltag zu bringen. Deshalb führte man in Großbritannien zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Sperrstunde in den Pubs ein. Man wollte verhindern, dass die Fabrikarbeiter alkoholisiert und unausgeschlafen zur Schicht erschienen.
Auf diese Zweiklassengesellschaft geht auch die Entstehung der elitären Clubs in Großbritannien zurück. Die Oberschicht wollte beim abendlichen Drink nicht auf den Pöbel treffen und zudem die Sperrstunde umgehen.
In Deutschland hat sich die Arbeiterkneipe als Kultlokal in der typischen Eckkneipe manifestiert. Vor allem in den Städten des Ruhrgebiets waren die einfachen Wirtshäuser in den Wirtschaftswunderjahren florierende Kleinbetriebe und wichtiger Treffpunkt für die Menschen im Viertel.
Mit dem Niedergang des Bergbaus mussten immer mehr dieser typischen Kneipen aufgeben. Seither wurden Szene-Gasthäuser immer wichtiger, die mit besonderem Flair, besonderer Küche und besonderen Attraktionen aufwarten können – Erlebnisgastronomie. Die berühmte kleine Kneipe an der Ecke kann bei diesem Wettbewerb kaum noch mithalten.
(Erstveröffentlichung 2010. Letzte Aktualisierung 22.12.2015)