Planet Wissen: Herr Mattioli, mafianeindanke wurde 2007 nach dem Mordanschlag auf sechs Mafiosi in Duisburg von italienischen Gastwirten in Deutschland gegründet. Als eine der ersten Aktionen haben die Vereinsmitglieder eine Vereinbarung mit der Berliner Polizei geschlossen. Um was ging es?
Sandro Mattioli: Die Gastwirte haben sich damals zusammengetan, um sich gegen Schutzgelderpressungen der Mafia zu wehren. In der Vereinbarung haben sie sich dazu verpflichtet, Schutzgeldzahlungen zu verweigern und jedweden Erpressungsversuch anzuzeigen. Im Gegenzug hat die Berliner Polizei den Gastwirten Schutz zugesagt.
Wie erfolgreich war die Vereinbarung?
Tatsächlich konnte ein Sondereinsatzkommando Silvester 2007 drei Erpresser verhaften, zwei Mitglieder der Camorra und einen Libanesen. Aber es war eine dramatische Zeit für mafianeindanke.
Es hatte Brandanschläge gegeben und die Leute haben Nachtwachen geschoben in bedrohten Restaurants. Dabei hatten sie immer die sechs Männer vor Augen, die in Duisburg von Kugeln durchsiebt worden waren.
Die Morde von Duisburg liegen inzwischen fast 15 Jahre zurück. Viele Ihrer Mitglieder waren damals noch Jugendliche oder sogar Kinder. Worin besteht die Aufgabe des Vereins heute?
Grundsätzlich verstehen wir uns nach wie vor als Partner der Polizei. Zum einen, weil das in der DNA von mafianeindanke steckt. Zum anderen geht es uns aber auch darum, auch in Kooperation mit staatlichen Kräften die Situation so zu verändern, dass es für die italienische Mafia und die organisierte Kriminalität schwieriger in Deutschland wird.
Wie gehen Sie dabei vor?
Wir sind auf vielen Ebenen unterwegs. Wir haben einen kostenfreien Newsletter und unsere Homepage, wo wir unsere Recherchen und allgemeine Informationen veröffentlichen. Dazu kommen Veranstaltungen zu speziellen Themen, wie beispielsweise der Agromafia, und Seminare an Schulen und Universitäten und bei politischen Stiftungen.
Wir haben auch schon einen Fachtag für die Gewerkschaft der Polizei über Organisierte Kriminalität veranstaltet und sind Ansprechpartner für deutsche und italienische Medien. Schließlich geben wir auch Stellungnahmen für die Politik ab. Zum Beispiel haben wir die Gesetzgebungsinitiative zur besseren Beschlagnahme von kriminellem Vermögen mit unterstützt.
Woher kommt Ihr Wissen über die Mafia?
Wir haben unter unseren Mitgliedern Expertinnen und Experten, die sich mit Themen beschäftigen, die bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität relevant sind. Teils hatten unsere Mitglieder auch beruflich mit dem Thema Mafia zu tun. Auch italienische Quellen sind sehr aufschlussreich, etwa Medienberichte über das Geschehen in Deutschland.
In Italien ist ja auch Verdachtsberichterstattung erlaubt. Eine weitere wichtige Quelle sind Gerichtsakten, die in Italien halböffentlich sind und in denen Personen und ihre Aktivitäten sehr detailliert beschrieben sind, inklusive Telefonnummern und vielem mehr.
Dann haben wir natürlich ein Netzwerk, und letztlich ist auch meine Funktion als investigativer Journalist maßgeblich. Detaillierte Informationen aus Deutschland sind dagegen so gut wie nicht verfügbar.
Der Verein nimmt auch Hinweise zur Mafia entgegen. Wie muss man sich das vorstellen?
Häufig wenden sich die Menschen mit Zufallsbeobachtungen an uns. Eine Italienerin aus dem Rheinland hat zum Beispiel beobachtet, wie sich immer mittags um zwölf am selben Ort zwei Italiener mit Plastiktüten getroffen haben, die sie wortlos ausgetauscht haben.
Zusätzlich hat sie ein Gespräch mitbekommen, in dem es um Streitigkeiten rivalisierender Gruppen ging. Es melden sich aber auch Gastwirte, die sagen: "Da passiert dies und jenes, wie soll ich damit umgehen?" Bei qualifizierten Hinweisen versuchen wir dann den Kontakt zur Polizei zu vermitteln.
Das klingt nach einigem Störpotenzial. Wie kommt der Verein bei der Mafia an?
Das ist schwer zu sagen, wir haben ja keinen Kontakt mit der Mafia, hoffen wir jedenfalls. Als wir kürzlich eine Recherche zu mutmaßlichen Mitgliedern der ‘Ndrangheta in Augsburg veröffentlicht haben, die Kredite an Corona-geplagte Gastwirte vergeben, hat das bei den Strafverfolgungsbehörden für einigen Aufruhr gesorgt.
Insofern stören wir vermutlich schon. Auch mit der Gesetzgebungsinitiative zur besseren Beschlagnahme von kriminellem Vermögen haben wir uns mit Sicherheit keine Freunde gemacht.
Auf der anderen Seite muss man aber auch sagen, dass unsere Wirkung leider eher begrenzt ist, weil die organisierte italienische Kriminalität in Deutschland nicht allzu hoch auf der Prioritätenliste steht. Dem Hinweis der Frau aus dem Rheinland ist die Polizei zum Beispiel nicht nachgegangen.
Sie warten auch schon länger darauf, dass deutsche Ermittler Mafia-Kronzeugen in Italien nutzen. Was versprechen Sie sich davon?
Wenn man das Wissen der Aussteiger anzapft, kann man sehr viel über die Strukturen in Deutschland erfahren und erkennt besser, wer zur Mafia gehört und wer nicht und was hierzulande passiert. Rechtlich wäre das ohne Probleme möglich. Es fehlt nur an der Initiative.
Auch der von Ihnen geforderte Lehrstuhl an Universitäten zur Erforschung der Organisierten Kriminalität ist noch Zukunftsmusik. Was ist hier das Problem?
Das hat unter anderem damit zu tun, dass Strafverfolgungsbehörden in Deutschland nicht sonderlich gern Informationen an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geben. Aus unserer Sicht ist das ein Fehler, denn man kann kriminelle Strukturen nur bekämpfen, wenn man sie kennt.
Wie gehen Sie mit solchen Rückschlägen im Verein um?
Unsere Schwierigkeit besteht darin, dass wir es im Grunde mit einem unsichtbaren Gegner zu tun haben, der maximal abstrakt in Zahlen auftaucht. Da muss man notgedrungen etwas Geduld beweisen und seinen Optimismus pflegen.
Immerhin kann ich sagen, dass das öffentliche Bewusstsein zum Thema italienische Mafia vor zehn Jahren, als ich den Vereinsvorsitz übernommen habe, noch sehr viel schlechter ausgeprägt war. So gesehen hat sich schon viel getan.