Spielball der Weltmächte
Grenzveränderungen, Machtspiele, Kriege – Polen hat durch seine geografische Lage zwischen den großen Staaten Deutschland und Russland viel mitgemacht. Wie bei den meisten Nationalstaaten im heutigen Europa begann auch die polnische Geschichte im Mittelalter mit dem Zusammenschluss von Fürstentümern. Als Herzog Miesko im Jahr 966 sich und sein Volk taufen lässt, gilt dies als Geburtsstunde des christlichen Polen.
Eine kulturelle und politische Blütezeit erlebt Polen vom 13. bis zum 16. Jahrhundert. Doch dann folgen turbulente Jahrhunderte, in denen fremde Mächte, vor allem Preußen und Russland, die Geschicke des Landes lenken, Truppen entsenden und Könige einsetzen.
Im Jahr 1772 beginnt mit der ersten polnischen Teilung eine Entwicklung, die darin gipfelt, dass der polnische Staat für mehr als 120 Jahre von der Landkarte Europas verschwindet.
Polen steht zu dieser Zeit stark unter dem Einfluss Russlands. Zarin Katharina II. setzt ihren ehemaligen Liebhaber Stanislaus Poniatowski als polnischen König durch. Unter Stanislaus II. August kommt es zu heftigen Unruhen und Bürgerkrieg im Land, als die Nicht-Katholiken die gleichen Bürgerrechte fordern wie die Katholiken.
Katharina II. war an der Teilung Polens beteiligt
Der deutsche Kaiser und Erzherzog von Österreich, Joseph II., nutzt die Gunst der Stunde und besetzt Teile des Landes. Der preußische König Friedrich II. schlägt daraufhin der Zarin vor, größere Gebietsteile abzutrennen. 1772 werden die entsprechenden Verträge unterschrieben.
Doch damit nicht genug. Nach Ausbruch der Französischen Revolution 1789 gibt sich Polen als erstes Land in Europa eine freiheitliche Verfassung. Der polnische Adel sieht sich seiner Macht beraubt und bittet Zarin Katharina um Hilfe. Russische Truppen marschieren ein, der Russisch-Polnische Krieg von 1792 endet mit einer Niederlage der Polen – und der zweiten polnischen Teilung.
Preußen und Russland unterzeichnen die Verträge am 23. Januar 1793. Die Polen reagieren mit einem nationalen Aufstand. Ein guter Anlass für die Mächte Russland, Preußen und Österreich, Polen vollständig unter sich aufzuteilen. 1795 hört der polnische Staat auf zu existieren.
Wiederauferstehung nach dem Ersten Weltkrieg
"Ein unabhängiger polnischer Staat soll geschaffen werden, der alle unstreitbar von polnischer Bevölkerung bewohnten Gebiete umfasst, ein freier und sicherer Zugang zum Meer soll ihm gewährleistet werden."
So beschreibt der US-Präsident Thomas Woodrow Wilson im Januar 1918 vor dem Kongress in Washington seine Vorstellungen zur Neuordnung Europas nach dem Ersten Weltkrieg. Und tatsächlich: Am 11. November 1918 wird die Republik Polen ausgerufen.
Der wiedergeborene Staat hat keine festgelegten Grenzen, zunächst keine Armee und keine Schatzkammer. Doch nach 123 Jahren existiert erstmals wieder eine polnische Republik. Und die gibt sich in den folgenden Jahren selbstbewusst.
Zum Beispiel sichert sich Polen 1919 nach Auseinandersetzungen mit ukrainischen Truppen die Kontrolle über Ostgalizien. Besonders viel Gebiet gewinnt der neue Staat im Osten durch den Sieg im polnisch-sowjetischen Krieg 1920/21.
Nachdem die polnischen Truppen zunächst bis nach Kiew (heute die Hauptstadt der Ukraine) vorgedrungen sind, werden sie anschließend bis nach Warschau zurückgedrängt.
Dank des "Wunders an der Weichsel" schlagen die Polen die Sowjetarmee aber abermals zurück. Im Frieden von Riga gestehen die geschlagenen Sowjets 1921 dem polnischen Staat erhebliche Gebietszuwächse zu.
Polen nach dem Ersten Weltkrieg
Der Zweite Weltkrieg
1934 schließt Polen einen Nichtangriffspakt mit Deutschland. Doch die Deutschen treiben ein doppeltes Spiel. Der Hitler-Stalin-Pakt vom 23. August 1939 sieht erneut die Aufteilung Polens vor. Am 1. September 1939 marschieren die Deutschen ein.
Der Zweite Weltkrieg tobt auf dem Gebiet Polens in aller Härte. Die jüdische Bevölkerung wird fast komplett ermordet; allein im Konzentrationslager Auschwitz bei Krakau werden mehr als eine Million Menschen ermordet. 1943 wird der jüdische Aufstand im Warschauer Ghetto niedergeschlagen.
Ein Jahr später versucht die polnische Heimatarmee, Warschau von den Deutschen zurückzuerobern. Die Sowjetunion verweigert die Unterstützung, lässt den Aufstand scheitern und setzt stattdessen das kommunistisch kontrollierte "Lubliner Komitee" ein. Es ist der Beginn des Kommunismus-Stalinismus in Polen.
Im Potsdamer Abkommen wird 1945 die polnische Grenze erneut nach Westen verschoben. Ab jetzt gilt die Oder-Neiße-Grenze. Die Deutschen in den Gebieten östlich dieser Grenze werden vertrieben.
Der schwere Weg zu freien Wahlen
Polen wird Teil des russisch dominierten Warschauer Paktes. Im Sozialismus gibt es nur eine Partei: die Vereinigte Arbeiterpartei. Doch die Arbeiter in Polen sind aufmüpfig. 1953 protestieren sie in Posen zum ersten Mal – nicht sehr erfolgreich – gegen die schlechte wirtschaftliche Lage.
1980 hängt an einem Kran der Danziger Leninwerft ein riesiges Plakat: Streik. Es ist der Beginn der Gewerkschaft "Solidarność", der wichtigsten Oppositionsbewegung in Polen in den folgenden Jahren. Chef von "Solidarność" ist der Elektriker Lech Wałęsa. Um die Unruhen in den Griff zu bekommen, verhängt die Regierung unter General Jaruzelski Ende 1981 das Kriegsrecht. Erst zwei Jahre später wird es wieder aufgehoben.
Mit dem Fall der Mauer endet auch in Polen die sozialistische Ära. 1990 wird Wałęsa Staatspräsident, ein Jahr später finden die ersten freien Parlamentswahlen statt. Polens Richtung ist klar: Einbindung in die westlichen Bündnisse Nato und Europäische Union (EU). Nato-Mitglied ist Polen seit 1994; die Aufnahme in die Europäische Union folgte 2004.
Gewerkschaftsführer Lech Wałęsa
(Erstveröffentlichung 2008. Letzte Aktualisierung 15.06.2020)
Quelle: WDR