SW-Bild: Gypsy-Geiger

Volksmusik

Gypsy-Musik

Die Musik der Sinti und Roma hat in Europa so viele Spuren hinterlassen wie kaum eine andere Volksmusik. Sie hat eine große Bedeutung für die Geschichte der Sinti und Roma, von denen viele bis heute ihren Lebensunterhalt mit ihrer Musik verdienen.

Von Malte Linde

Reichtum durch kulturellen Austausch

Man nimmt heute an, dass die Wurzeln der Romani sprechenden Bevölkerungsgruppen im indischen Pandschab liegen. Von dort aus wanderten die verschiedenen Sinti- und Roma-Gruppen Richtung Westen – zunächst nach Persien. Hier sollen im 5. Jahrhundert bereits die ersten Gypsy-Musiker vor dem persischen König Bahram Gur gespielt haben, der tausende Musiker und Tänzer zu seiner Unterhaltung aus Indien nach Persien einlud.

In den nächsten Jahrhunderten wanderten viele der Sinti und Roma bis nach Mitteleuropa. Auf ihrer Wanderung nahmen die Musiker Stile aus zahlreichen Ländern auf und verarbeiteten sie in eigenen Stücken weiter.

Die Musik, die sich so entwickelte, bereicherte ihrerseits wiederum viele Volks- und Kunstmusikstile. Im Laufe der Zeit entstanden dabei ganz unterschiedliche Musikstile. Es gibt also nicht die eine Gypsy-Musik.

SW-Bild: Eine französische Gypsy-Band in den 1930er-Jahren

Eine französische Gypsy-Band in den 1930er-Jahren

Sehr stark etwa ist der Einfluss der Gypsy-Musik auf die türkische Tanzmusik und auch der andalusische Flamenco dürfte zum Teil auf die Musik des fahrenden Volkes zurückgehen.

Hierzulande sind besonders osteuropäische Musikstile als Gypsy-Musik bekannt. Vor allem die ungarische Musik ist stark von der musikalischen Tradition der Sinti und Roma geprägt. Bereits im 15. Jahrhundert spielten kleine Musikkapellen an den Höfen.

Diese Kapellen bestanden in der Regel aus Streichinstrumenten, Klarinette und Cymbal, angeführt von einem in der Regel Geige spielenden Solisten – Primás genannt.

Einfluss auf die Kunstmusik

Die Virtuosität der Musiker und die Leidenschaft des Vortrags haben die Musik der Sinti und Roma außerordentlich populär gemacht. Die spezifischen Tonleitern dieser Musik fanden früh ihren Weg in die Kunstmusik. "Zigeunerfantasien" und ähnliche Titel bilden einen großen Anteil der Instrumental- und Operettenliteratur der Romantik.

Bekannte Beispiele sind der "Zigeunerbaron" von Johann Strauss oder die "Zigeunerliebe" von Franz Lehár. Berühmt wurde die sogenannte "Zigeuner-Tonleiter" auch durch die Klaviermusik von Franz Liszt, der diese spezielle Skala in vielen seiner Klavierwerke verwendete, etwa in den "Rhapsodien".

Die starke emotionale Wirkung der Musik der Sinti und Roma beeindruckt seit Jahrhunderten die Zuhörer. Der französische Komponist Claude Debussy traf 1910 den ungarischen Gypsy-Musiker Bela Radics und berichtete über dessen Spiel in einem Café: "Er eröffnet den Seelen jene spezielle Schwermut, die wir nur selten erleben können und entreißt ihnen alle Geheimnisse – nicht mal ein Safe wäre vor ihm sicher."

Claude Debussy

Claude Debussy war von dem Gypsy-Musiker Bela Radics begeistert

Auch der Jazz hat etliche Motive der Musik der Sinti und Roma adaptiert – einer der berühmtesten Jazzgitarristen war schließlich selbst ein Sohn französischer Sintiza: der belgische Gitarrist Django Reinhardt.

Reinhardt verbrannte sich als Jugendlicher die linke Hand bei einem Feuer in einem Wohnwagen. Aus diesem Handicap entwickelte sich eine völlig neue Spielweise: Reinhardt spielte praktisch nur mit Zeige- und Mittelfinger. Seine Spielweise war jedoch so virtuos, dass zahlreiche Gitarristen aus aller Welt den Stil des Belgiers bis heute nachahmen.

Im Dienste des Militärs

Die starken Gefühle, die diese Musik in ihren Zuhörern auslöste, wurden auch für andere Zwecke genutzt: Im 18. Jahrhundert waren die "Verbunkos" eine Spezialität der Gypsy-Musik. "Verbunkos" waren Tänze, die im Dienste des Militärs aufgeführt wurden. Berauscht durch das Spiel und die Leidenschaft des Tanzes gaben die Zuhörer am Ende gerne ihre Unterschrift und verpflichteten sich als Soldaten.

Auch die berühmte Geigerin Panna Czinka soll im Dienst des Habsburger Militärs gespielt haben, um Freiwillige zu rekrutieren. Die Geigenvirtuosin war selbst eine Freundin des Militärs, sie trat in Uniformkleidern auf und ließ sich auch in Soldatenkleidern beerdigen – gemeinsam mit ihrer Geige, einem kostbaren Exemplar des legendären Geigenbauers Amati.

(Erstveröffentlichung 2007. Letzte Aktualisierung 26.05.2021)

Quelle: WDR

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