Im Judentum ist die Vielfalt der religiösen Rituale durch seine Geschichte der Zerstreuung besonders groß. Von Gemeinde zu Gemeinde wird anders gefeiert. Die Beschreibungen jüdischer "Lebensfeste" können daher nur typische Elemente aufzählen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Das Ritual der Beschneidung
Erst acht Tage alt ist ein Junge, wenn er zur Beschneidung (Brit Mila) gebracht wird. Nur wenn medizinische Gründe dagegen sprechen, wird länger gewartet. Die Zeremonie findet entweder zu Hause oder in einem Krankenhaus statt. Der Großvater oder ein anderer naher Verwandter trägt das Baby. Es sollen mindestens zehn jüdische Männer zugegen sein, wie es auch für jeden Gottesdienst vorgeschrieben ist.
Das Kind wird dem Beschneider (Mohel) überreicht. Dieser hat eine spezielle Ausbildung absolviert – in vielen Fällen ist er Arzt. Er legt das Baby auf eine Bank mit zwei Plätzen. Einen Platz für den Paten (Sandak) des Kindes und einen für den Propheten Elias. Dieser Platz bleibt frei. Der Vater des Kindes hält das Kind oder legt seine Hand auf die Schulter des Mohels.
Nun bekommt der Pate den Jungen in den Schoß gelegt. Nach Segensworten und der Anrufung Elias' trennt der Beschneider mit einem scharfen, zweischneidigen Messer die Vorhaut vom Glied des kleinen Jungen. Dann rezitiert er weitere Segenssprüche über einem Becher Wein und verkündet den Vornamen des Kindes. Dabei werden dem Jungen die Lippen mit einem Tropfen Wein benetzt. Auch der Pate und die Mutter bekommen den Becher gereicht. Oft schließt sich ein Fest an.
Letzte Vorbereitungen für die Beschneidung
Die Beschneidung symbolisiert den Bund mit Gott
Das Abtrennen der männlichen Vorhaut ist ein Brauch, der in vorisraelitischer Zeit – wahrscheinlich im alten Orient – entstand und mittlerweile in verschiedenen Kulturen und Religionen praktiziert wird, so zum Beispiel im Islam.
Etwa 10 bis 15 Prozent aller Männer weltweit sind beschnitten. In Nordamerika war die Beschneidung bis in die 1950er-Jahre allgemein selbstverständlich und auch heute noch werden kurz nach der Geburt etwa die Hälfte der Jungen aus hygienischen Gründen beschnitten.
Dass bei Juden die Beschneidung genau am achten Lebenstag des Kindes stattfindet, gründet sich auf eine Anweisung in der Thora. Aus der Heiligen Schrift bezieht das Judentum auch den hohen Symbolgehalt dieses Brauches. Die göttliche Anweisung zur Beschneidung gehört zum Bundesschluss Gottes mit Israel. Deshalb heißt dieses Ritual auch "Bund der Beschneidung". Der Beschnittene trägt das unverlierbare Zeichen an sich, zu Gott und zu Israel zu gehören.
Mädchen werden allein durch die Abstammung von einer jüdischen Mutter in die Gemeinde aufgenommen. Möglichst am ersten Sabbat nach ihrer Geburt wird ihr Name in der Synagoge verkündet. Auch dies ist meistens mit einem Fest, der "Brita", verbunden.
Bibelstelle aus dem Buch Genesis
Das Ritual der Bar Mizwa
Am Sabbat nach seinem 13. Geburtstag hat ein jüdischer Junge seinen großen Auftritt in der Synagoge, denn er ist nun ein Bar Mizwa, ein "Gebotsmündiger". Dieses Fest, dem Thora-Unterricht durch einen Rabbiner vorausgeht, symbolisiert den Übergang in die Volljährigkeit.
Im Gottesdienst wird der Junge dazu aufgerufen, die Segenssprüche über die Thora vorzutragen. Dabei umhüllt er sich zum ersten Mal mit einem Gebetsmantel (Tallith), so wie ihn die erwachsenen Männer tragen. Wenn er kann, soll er auch den vorgesehenen Abschnitt aus der Thora singend vortragen. Die meisten lesen jedoch den Wochentext aus den Prophetenbüchern (Lesung der Haftarah).
Alle diese anspruchsvollen Texte liegen natürlich in Hebräisch vor dem 13-Jährigen, sogar ohne Angabe der Vokale. Dies korrekt auszusprechen oder zu singen, erfordert viel Konzentration und Auswendiglernen.
Besonders glänzen kann ein jüdischer Junge, wenn er danach auch noch in einer Ansprache (Draschah) den Text erläutert und die Gelegenheit nutzt, seinen Eltern und Lehrern zu danken. In vielen Gemeinden ist es üblich geworden, dass danach der Rabbiner eine Rede für den Jungen hält.
Am Ende der Lesungen dankt der Vater öffentlich: "Gesegnet sei Gott, der mich von dessen (des Kindes) Strafe erlöst hat." Denn von jetzt an ist der Junge zum Mann geworden und trägt die Verantwortung für seine Taten sowie eventuelle Strafen selbst.
Es folgt meistens am Abend des Tages, also nach dem Ausklingen des Sabbats, ein großes Fest mit Verwandten, Freunden und Bekannten. Dabei gibt es Geschenke, Musik, Reden, heitere Einlagen und ein oft opulentes Festessen, das der gefeierte 13-Jährige mit einem besonderen Dankgebet beendet.
Ab diesem Tag wird der Junge nun wie alle Männer zum Morgengebet Gebetsriemen (Tefillin) und -mantel tragen. Traditionell wird der Bar Mizwa wie ein Bräutigam geehrt und gefeiert.
Nach der Bar Mizwa dürfen Jungen in der Synagoge aus der Thora lesen
Bat Mizwa als Zeichen der Liberalisierung
Für Mädchen wurde erst Ende des 19. Jahrhunderts ein entsprechendes Ritual gefordert. Mit zwölf Jahren wird man eine "Bat Mizwa", ein Jahr früher als die Jungen, weil Mädchen früher geschlechtsreif werden. In liberalen Gemeinden können sie an ihrem Festtag genau wie die Jungen auch in der Synagoge lesen.
Im konservativeren Judentum wird mehr auf die klassische Rollenverteilung geachtet. Dort ist es das wichtigere Ritual, dass das Mädchen am Beginn des Sabbats die Kerzen anzündet und segnet. Sie soll bis zu ihrem zwölften Lebensjahr vor allem die Reinlichkeitsgebote kennen, die die Lebensmittel und ihren eigenen Körper betreffen.
Mit einsetzender Menstruation hat sie neue Verhaltensregeln zu beachten. Selbst in den meisten streng orthodoxen Gemeinden hat sich durchgesetzt, dass die "Bat Mizwa" zumindest mit Geschenken und einem Fest begangen wird.
Mädchen feiern die Bat Mizwa
Aufnahme in die Welt der Erwachsenen
Bar Mizwa und Bat Mizwa sind die Feiern der Religionsmündigkeit. Ab diesem Tag haben die Jugendlichen die gleichen religiösen Rechte und Pflichten wie die Erwachsenen. Sie sind zur Einhaltung des vollen jüdischen Gesetzes verpflichtet.
Vorher galten zum Beispiel die Fastenregeln an bestimmten Feiertagen noch nicht für sie. Zumindest Jungen dürfen ab diesem Tag die heiligste religiöse Handlung im Judentum vollziehen, nämlich in der Synagoge aus der Thora lesen und sie auslegen.
(Erstveröffentlichung 2007. Letzte Aktualisierung 09.04.2019)
Quelle: WDR