Der lange Weg zu einem besseren Leben
Der Kampf der nordamerikanischen Ureinwohner um Entschädigung ist so alt wie die Kolonisierung Amerikas und er ist noch lange nicht zu Ende. Es geht um einen Ausgleich für das Land, das ihnen die weißen Siedler raubten, und darum, dass ihr Land bis heute wirtschaftlich ausgebeutet wird.
Mit Appellen um Teilhabe der Indigenen am "American Way of Life" konnten zahlreiche Stämme ihre Lebenssituation verbessern. Vor allem eine junge, gebildete Generation mit Studienabschlüssen in Rechts- und Wirtschaftswissenschaften tritt dem etablierten Amerika entgegen. Und zwar mit jener Waffe, die dieses Amerika selbst am besten beherrscht: mit wirtschaftlichem Erfolg.
In den Vereinigten Staaten gibt es mehr als 550 anerkannte Stämme. Mehr als 200 von ihnen betreiben mit großem Erfolg Spielcasinos und Vergnügungsparks samt angegliederter Hotels und Einkaufszentren – lauter Geschäftstätigkeiten, die weiße US-Amerikaner ihnen ursprünglich kraft Gesetzes verboten.
1988 erließ der Kongress den "Indian Gaming Regulatory Act" – ein Bundesgesetz, das es den Indigenen auf ihrem Land erlaubt, Spielcasinos zu betreiben. So profitieren die Stämme in attraktiven Landschaften und nahe der großen Zentren von Kurzurlauben der spielsüchtigen Weißen.
Wirtschaftlicher Erfolg hilft den Stämmen
Wirtschaftlich besonders erfolgreiche Stämme wie die Morongo aus Palm Springs haben innerhalb weniger Jahre Vergnügungsimperien mit mehreren Milliarden US-Dollar Jahresumsatz aufgebaut. Doch es wächst weißer Widerstand dagegen. Auch der ehemalige kalifornische Gouverneur Arnold Schwarzenegger machte gegen die Indianer mobil: Casinos ja, aber bitte nur, wenn genug Steuern an die weiße Regierung zurückfließen.
Mehr noch als die Steuerfreiheit dürfte das unamerikanische Geschäftsgebaren den weißen Politikern ein Dorn im Auge sein. Denn bis heute ziehen sich traditionelle Handlungsmuster durch die Geschäfte vieler Indianer-Stämme: Der Einzelne gilt weniger als die Gemeinschaft.
Karriere misst sich nicht am Jahresumsatz, sondern an den Taten, die ein Einzelner für seinen Stamm erbringt. So werden ganz selbstverständlich Krankenhäuser, Gesundheitsdienste, Schulen und Bedürftige aus den Einnahmen der Casinos finanziert.
Für Amerikas neoliberale Wirtschaft, in der solches Versorgungs- und Gleichheitsdenken als Bremse allen Wachstums gilt, wirkt stammverbundenes Indianer-Business wie eine Nachricht aus einer fremden Welt. Eine Anpassung an den "American Way of Life" bedeuten diese Aktivitäten keineswegs.
Nach wie vor verstehen sich die meisten Native Americans in erster Linie als Angehörige ihres Stammes. Sie fühlen sich als Cherokee, Hopi oder Navajo und – wenn überhaupt – erst lange danach als Amerikaner. Ob mit diesen wirtschaftlichen Mitteln die Situation der Native Americans nachhaltig verbessert werden kann, ist allerdings umstritten.
Die Steuerfreiheit gegenüber dem US-amerikanischen Staat besteht für die Stämme auch nur bei Umsätzen, die sie auf ihrem Land erwirtschaften. Dies führt gelegentlich zu Missverständnissen: Außerhalb der Reservations sind die indigenen Einwohner der USA ebenso zur Zahlung von Steuern verpflichtet wie jeder andere auch.
Nicht alle Stämme betreiben Casinos
Nicht einmal die Hälfte der Stämme hat Anteil an dem Erfolg. Die Mehrheit lebt entweder geografisch zu abgelegen oder sie kann Casinobetriebe mit ihren Traditionen nicht vereinbaren. Wieder andere Stämme sind in der Frage pro oder contra Casino tief zerstritten.
Aber selbst jene Stämme, die von Glücksspiel und Steuerbefreiung profitieren, sehen darin nur ein Mittel zum Zweck für eine gerechtere Zukunft. Sie betrachten die Roulette- und Bingo-Millionen als Werkzeug, mit dem sie in einer Welt des Geldes die Dinge für sich ins Positive lenken können.
Regierung muss Entschädigungen zahlen
Bereits mehrfach haben Indigene mit ihren Klagen den amerikanischen Staat Recht erhalten und dafür gesorgt, dass ihre Stämme hohe Entschädigungszahlungen erhielten. Dabei ging es vor allem um die Nutzung von Stammesland durch die Vereinigten Staaten, beispielsweise für die Ölförderung. Für diese Nutzung steht den Stämmen Geld zu, das in Treuhänderfonds eingezahlt wird.
Etliche Stämme warfen der Regierung Misswirtschaft und das Vorenthalten von Geldern vor. Der amerikanische Staat musste Entschädigungen zahlen, die teils in die Milliarden gingen. 2010 zahlte die amerikanische Regierung zwei Milliarden Dollar, die an 80 Stämme gingen; 2012 erhielten 41 Stämme eine Summe von einer Milliarde Dollar; 2014 erstritten die Navajo 554 Millionen Dollar.
Eine Pipeline durch heiliges Land
Doch die indigene Bevölkerung ist auch heute nicht gegen die Ausbeutung ihres Landes geschützt. 2016 begann der Energiekonzern Energy Transfer Partners mit staatlicher Genehmigung eine Ölpipeline zu bauen, die unter dem Missouri River hindurch und dann mitten durch heiliges Land der Sioux in Nord-Dakota führte.
Die Proteste des Stammes gegen den Bau der Pipeline auf seinem Land machten weltweit Schlagzeilen, hielten das Projekt aber nicht auf. Das Land der meisten Stämme in den USA gehört dem Staat – nicht den Ureinwohnern, denen es versprochen wurde. Sie müssen nur für die Nutzung entschädigt werden.
Die Proteste der Sioux gegen die "schwarze Schlange" auf den Gräbern ihrer Vorfahren wurden teils mit Gewalt beantwortet. Der Stamm klagte – und bekam Recht. Im Sommer 2020 entschied ein Bundesrichter, der Betrieb müsse stillgelegt und die Pipeline geleert werden.
Auch in Alaska müssen das indigene Volk der Gwich'in gegen die Zerstörung ihres Lebensraums kämpfen: Im Schutzgebiet Alaska National Wildlife Refuge soll die Erschließung von Öl- und Erdgasvorkommen erlaubt werden.
Straßensperren gegen ein Virus
2020 traf die Corona-Pandemie die indigene Bevölkerung der USA besonders hart. Die Sterblichkeitsrate lag wesentlich höher als bei der weißen Bevölkerung. Ursachen waren schlechter Gesundheitszustand der Native Americans, beengte Wohnverhältnisse, kein sauberes Wasser.
In New Mexico beispielsweise waren 60 Prozent aller Corona-Todesopfer Indigene – bei einem Bevölkerungsanteil von nur 8,8 Prozent. In South Dakota versuchten sich die Sioux gegen die Pandemie zu schützen, indem sie sich abriegelten. Ihre Lebenserwartung sei ohnehin die niedrigste in den USA, so die Begründung.
Straßensperren sollten verhindern, dass infizierte Personen unkontrolliert durch das Reservat reisten. Eine Anweisung der Gouverneurin von South Dakota, die Barrikaden zu entfernen, ignorierten sie: Als souveräne Nation müssen die Sioux solche Anweisungen nicht befolgen.
Die selbsterklärten Indigenen der USA
Der Anteil der indigenen Bevölkerung in den USA beträgt heute rund zwei Prozent – rund 6,8 Millionen Menschen. Die meisten Ureinwohner hat der Bundesstaat Alaska, danach folgen South Dakota, Oklahoma und New Mexico.
Im Jahr 1924, als die indigenen Bewohner der USA mit dem "Indian Citizenship Act" die Wahl- und Bürgerrechte erhielten, hatten alle Stämme zusammen nur noch 250.000 Angehörige. Inzwischen wächst die indigene Bevölkerung stetig – allerdings auch aus Gründen, die nichts mit einer höheren Geburtenzahl zu tun haben.
Immer wieder erklären sich weiße Amerikaner zu Ureinwohnern. Die Motive dafür sind unterschiedlich: Manchen geht es um einen neuen Sinn im Leben – nach Naturverbundenheit, nach spirituellen Ritualen; sie schätzen die Gleichbehandlung von Mann und Frau und die Zugehörigkeit zu einer Gruppe.
Anderen geht es ganz einfach um mögliche finanzielle Vorteile: Sie versuchen an Gewinne aus den Casinobetrieben in den Reservaten zu kommen, die den Angehörigen des jeweiligen Stammes zustehen. Auch der Zugang zum Gesundheitswesen und sonstigen Leistungen einzelner Stämme locken.
Sich zum Ureinwohner zu erklären, ist in den USA einfach: Formal gilt für das "Bureau of Indian Affairs" als Indianer, wer mindestens zu 50 Prozent indianischer Abstammung von einem der offiziell anerkannten Stämme ist. Aber fast jeder Stamm legt nochmals eigene Kriterien fest, wer dazugehört. Die US-Zensusbehörde zählt jeden als Indianer, der sich dazu bekennt.
Situation und Rechte der Indigenen
Abgesehen von einigen wenigen Sonderrechten gibt es keine wirtschaftlichen Gründe, heute in den USA Angehöriger eines indigenen Volks sein zu wollen: Die Arbeitslosigkeit ist wesentlich höher als beim Rest der Bevölkerung, die Armut sogar doppelt so hoch.
Die medizinische Versorgung bei den nicht so wohlhabenden Stämmen ist schlecht, die Lebenserwartung liegt durchweg um mehrere Jahre unter dem US-Durchschnitt. Der Kampf um die Erhaltung ihres Lebensraums und der Lebensgrundlagen in den Reservationen beginnt immer wieder aufs Neue.
Eine Entschädigung für geraubtes Land gibt es bis heute nicht, lediglich für die Nutzung der von Indigenen bewohnten Reservate muss die US-Regierung Geld zahlen. Helfen würde den Stämmen die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation, einem international verbindlichen Abkommen zu den Rechten indigener Völker.
Sie würde die Rechte am eigenen Land und an den Ressourcen sichern, die Rechte auf kulturelle Identität und Traditionen, auf angemessene Arbeitsbedingungen und mehr. Die Konvention gibt es seit 1989; die USA haben sie nicht ratifiziert.
UNSERE QUELLEN
- National Indian Gaming Commission: Indian Gaming Regulatory Act
- Indianz.Com. Native American news, information and entertainment
- Office of the Navajo Tax Commission
- FAZ: "Amerika zahlt Navajo-Indianern 554 Millionen Dollar Entschädigung"
- Der Spiegel: "Indianer bekommen Milliarde von US-Regierung"
- Gesellschaft für bedrohte Völker: "Ölförder-Genehmigung in Alaska noch kurz vor der Wahl?"
- Tagesspiegel: "So wehren sich US-Ureinwohner gegen die Benachteiligung in der Coronakrise"
- Tagesschau: "Corona trifft Native Americans besonders hart"
- World Population Review: Alaska Population
- National Constitution Center: Indian Citizenship Act
- Der Spiegel, Ausgabe 3/2006: Die neuen Indianer
- Bureau of Indian Affairs
- ILO-Konvention 169 zur Durchsetzung der Rechte indigener Völker
- ILO-Konvention 169: "Warum Deutschland die ILO-Konvention nicht unterzeichnet"