Gezeitenkraftwerk
Bereits im 11. Jahrhundert wurde die Kraft des Tidenhubs in Gezeitenmühlen in England und Frankreich genutzt. 1897 wurde in Frankreich das erste Mal elektrischer Strom mit Hilfe von Turbinen und Generatoren gewonnen, angetrieben durch Ebbe und Flut.
Rund 20 Jahre später entstanden die ersten Pläne für ein Gezeitenkraftwerk an der Mündung des französischen Flusses Rance bei St. Malo in der Normandie. Die Bucht ist mit einem Tidenhub von bis zu 12 Metern besonders geeignet. Es dauerte allerdings noch bis 1967, bis das erste Gezeitenkraftwerk der Welt in Betrieb ging.
Das Prinzip ist einfach: Ein 750 Meter langer Damm trennt die Bucht vom offenen Meer ab. Das Wasser kann nur durch 24 Rohrturbinen auf die andere Seite gelangen. Die Turbinen erzeugen den Strom sowohl beim Einlaufen des Wassers (Flut) als auch beim Auslaufen (Ebbe). Je nach Strombedarf kann das Ablaufen dabei auch leicht verzögert werden.
Ingesamt erzeugt das Kraftwerk eine Leistung von 240 Megawatt. Ein vergleichbar starkes Kraftwerk steht in Südkorea. Weltweit gibt es sonst nur wenige, kleinere Anlagen mit rund einem bis drei Megawatt.
Meeresströmungskraftwerk
Energie lässt sich jedoch nicht nur durch die Nutzung des Tidenhubs gewinnen. Denn dass das Meer bei Flut höher steht, bedeutet nicht, dass es dort angehoben wird – jedenfalls nicht in dem Sinne, wie man einen Eimer Wasser vom Boden anheben würde.
Das Wasser des Meeres wird durch die Gezeitenkräfte von einem Ort zu einem anderen gezogen. Wo es wegfließt, herrscht Ebbe, wo es hinfließt, kommt die Flut. Es entstehen Strömungen. Und diese können ebenso zur Stromgewinnung genutzt werden.
Vor der Küste Großbritanniens entstand das erste Meeresströmungskraftwerk der Welt. Das deutsch-britische Pilotprojekt trug den Namen "Seaflow".
Es sah aus wie eine Windkraftanlage unter Wasser und funktionierte auch fast genauso. Der Unterschied: Statt des Windes, also der Strömung der Luft, wurde die Gezeitenströmung des Wasser genutzt.
Im Jahr 2008 ging "Seaflows" Nachfolger "Seagen" vor der Küste Nordirlands in Betrieb. Mit seinen zwei Turbinen produzierte das Gezeitenkraftwerk tatsächlich Strom, anders als sein Vorgänger. Die Leistung betrug 1,2 Megawatt, womit gut 1000 Haushalte versorgt werden konnten. Es war damit das weltweit erste kommerziell genutzte Gezeitenkraftwerk. 2019 nahm der Betreiber es nach elf Jahren außer Betrieb.
Das bisher leistungsstärkste Meeresströmungskraftwerk ist "MeyGen", gelegen zwischen dem schottischen Festland und den Orkney-Inseln. Seit 2016 liefern die ersten Turbinen Strom. Voll ausgebaut soll MeyGen fast 400 Megawatt Leistung erbringen können.
Wellenenergie
Das Wetter ist zwar ein unvorhersehbarer Faktor, es ist jedoch entscheidend bei einer weiteren Form des Energietransports im Meer: der Wellenenergie. Um diese Energie zu nutzen, gibt es verschiedene Ansätze.
Einer der ältesten ist das Prinzip der schwingenden Wassersäule. Das ständige Auf und Ab des Wassers treibt dabei in einer Art Kamin eine Luftsäule an. Wie in einer Luftpumpe wird bei ansteigendem Wasser die Luft nach oben durch eine Turbine gedrückt. Beim Absinken des Wassers wird die Luft durch die Turbine angesogen.
Eine ausgeklügelte Technik sorgt dafür, dass sich die Turbine in beiden Fällen immer in dieselbe Richtung dreht. Dadurch werden Reibungsverluste vermieden. Der erste Prototyp eines Wellenkraftwerks ging 2000 an der Westküste Schottlands in Betrieb und lieferte eine Spitzenleistung von 500 Kilowatt, ist inzwischen allerdings nicht mehr in Betrieb.
Im Sommer 2011 folgte vor der baskischen Küste in Mutriku das erste kommerziell betriebene Wellenkraftwerk. Die 16 Turbinen wurden in die Hafenmauer integriert, sodass das Kraftwerk kaum als solches zu erkennen ist.
Die Stromausbeute fällt jedoch wesentlich geringer aus, als anfangs angenommen. Das Kraftwerk erzeugt knapp 300 Kilowatt, womit im Durchschnitt 250 Haushalte mit Strom versorgt werden können.
"Wellendrache" und "Seeschlange"
Zwei andere getestete Techniken waren "Wavedragon" (Wellendrache) und "Pelamis" (griechisch für Seeschlange). Bei "Wavedragon" schwappten Wellen auf hoher See über Rampen in ein höher gelegenes Reservoir. Aus diesem Reservoir floss das Wasser zurück ins Meer und trieb dabei Turbinen an.
Bei "Pelamis" handelte es sich um mehrere Stahlrohre, die über bewegliche Gelenke miteinander verbunden waren. Diese Stahlrohrschlange lag auf der Wasseroberfläche, passte sich den Wellenbewegungen an und wandelte die Bewegung in Elektrizität um.
Lösung des weltweiten Energieproblems?
Der Energievorrat, der in den Gezeiten steckt, ist zwar riesig, lässt sich jedoch nur selten wirtschaftlich nutzen. Um zum Beispiel ein Gezeitenkraftwerk betreiben zu können, benötigt man mindestens einen Tidenhub von fünf Metern sowie eine geeignete Bucht. Weltweit gibt es schätzungsweise nur wenige Dutzend solcher Stellen.
Insgesamt ließen sich rein rechnerisch zwölf Gigawatt (ein Gigawatt = eine Milliarde Watt) Strom erzeugen. Damit könnten gerade mal zehn Kohlekraftwerke ersetzt werden.
Außerdem steht die Energie nicht kontinuierlich zur Verfügung, die Spitzenlast verschiebt sich ebenso wie die Hoch- und Niedrigwasser von Tag zu Tag. Es müssten daher Möglichkeiten zur Speicherung der Energie geschaffen werden.
Das Problem der kontinuierlichen Energiegewinnung tritt bei den Wellenkraftwerken verstärkt auf, da bei diesen das Wetter eine entscheidende Rolle spielt. Lediglich ein Strömungskraftwerk liefert eine halbwegs konstante Energie und ist unabhängig vom Wetter. Allerdings gibt es erst wenige Pilotanlagen.
In der Kombination verschiedener Meereskraftwerke sehen die Experten gleichwohl einen wichtigen Pfeiler der erneuerbaren Energien. Im Vergleich zu Wind, Sonne und Biomasse steht die Nutzung der Energie aus dem Meer erst am Anfang.