Faszination Tiefsee

Planet Wissen 06.03.2020 02:02 Min. Verfügbar bis 06.03.2025 SWR

Tiere im Wasser

Tiere der Tiefsee

Ozeane bedecken fast zwei Drittel der Erdoberfläche, das meiste davon zählt zur Tiefsee. Was sich in diesen riesigen Weiten an Leben verbirgt, ist faszinierend und doch kaum erforscht.

Von Tina Heinz

Die Tiefsee als Lebensraum


Früher stellte man sich die Tiefsee als dunkle Einöde vor. Doch selbst in den tiefsten Seegräben und an heißen, toxischen Thermalquellen gibt es Leben: meterlange Röhrenwürmer etwa, Riesenkalmare, riesige Einzeller, bizarre Fische, räuberische Krebse, Tiefseeschwämme und elegante Seefedern.

Seine tiefste Stelle erreicht der Meeresgrund im Marianengraben im Pazifischen Ozean (etwa 2000 Kilometer östlich der Philippinen): 11.034 Meter. Von der Tiefsee spricht man aber schon ab 800 Metern Tiefe.

Die äußeren Bedingungen für ein Leben hier scheinen alles andere als einladend. Dafür sind sie konstant. Die chemische Zusammensetzung des salzigen Meerwassers hat sich seit Jahrmillionen kaum verändert. Die Temperatur beträgt fast überall in der Tiefsee zwei bis drei Grad Celsius.

Was die Tiefsee-Bedingungen so unwirtlich erscheinen lässt, sind besonders zwei Faktoren: die Dunkelheit und der immense Druck. Zwar reichen die Strahlen des Sonnenlichts bis etwa 900 Meter in die Tiefe, die Lichtenergie ist aber schon ab 150 Metern für Pflanzenwuchs kaum noch ausreichend.

Der atmosphärische Druck auf Meereshöhe beträgt etwa ein Bar. Je zehn Meter Tiefe nimmt er um ein weiteres Bar zu. In 10.000 Metern Tiefe lastet auf jedem Quadratzentimeter ein Gewicht von etwa einer Tonne.

Für Ausstellung präparierter Fangzahnfisch

Für Ausstellung präparierter Fangzahnfisch

Welche Tiere leben in der Tiefsee?

Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts gingen Forscher davon aus, dass es in der Tiefsee kein Leben gibt. Erste Zweifel an dieser These kamen 1860 auf, als festgekrustete Tiere an einem defekten Telegrafenkabel entdeckt wurden, das aus 1800 Metern Tiefe eingeholt worden war.

Den endgültigen Gegenbeweis erbrachte 1869 eine Expedition der H.M.S. Porcupine südwestlich von Irland. Aus über 4000 Metern Tiefe wurden Bodenproben genommen, die nur einen Schluss zuließen: Leben gibt es selbst in den Tiefen des Ozeans.

Die Zahl der Lebewesen nimmt zwar mit zunehmender Wassertiefe ab. Doch dafür ist die Artenvielfalt dort unten groß. Viele der Tiere, die sich hier tummeln, fallen durch ihr bizarres Äußeres auf. Davon zeugen auch die ausgefallenen Namen: Ob Vampirtintenfisch, Seefledermaus oder Peitschenangler – das Aussehen hält, was der Name verspricht.

Kopf eines Viperfisches.

Der Viperfisch kann extrem geringe Lichtmengen wahrnehmen

Besonders vielseitig ist das Leben auf den Meeresböden. Es konnten bereits an die 200.000 Arten von Bodenbewohnern identifiziert werden. Man geht davon aus, dass hier noch Millionen von Arten zu finden sein werden, vor allem winzige Tierchen im Tiefseeschlamm.

Selbst die tiefsten Seegräben sind bewohnt. Hier leben vor allem Muscheln, Borstenwürmer und Seegurken, die sich von organischen Partikeln aus dem Meeresschlamm ernähren. Seegurken machen in 4000 Metern Tiefe etwa die Hälfte der Masse aller Organismen aus, in 8500 Metern sogar 90 Prozent. Die bis zu zwei Meter großen Stachelhäuter sind die Herrscher der Gräben.

Ein Liebling der Tiefseeforscher sind die Xenophyophoren (zu deutsch: "Träger fremder Körper"). Die größten bisher bekannten Einzeller werden bis zu 25 Zentimeter groß und leben vor allem an erloschenen Seevulkanen. Ihr Gehäuse aus abgestorbenem Plankton bietet anderen Arten Unterschlupf, zum Beispiel Asseln und Schlangensternen, die übrigens mit Seesternen verwandt sind.

Eine orangefarbene Seefeder auf dem Meeresgrund.

Die Seefeder filtriert Plankton aus dem Wasser

Wovon ernähren sich die Tiefseebewohner?

In der Tiefsee gibt es kein Licht; es kann also auch keine Fotosynthese stattfinden. Die Tiefseeorganismen sind auf organisches Material angewiesen, das aus höheren Schichten herabsinkt. Allerdings kommt nur etwa ein Prozent des sogenannten "Meeresschnees" auf dem Meeresgrund an. Der Rest wird unterwegs von den höher lebenden Meeresbewohnern verspeist.

Viele Tiefseetiere wandern abends in höhere Wasserschichten, in denen dank der Lichtverhältnisse mehr Nahrung zur Verfügung steht. Dort fressen sie und tauchen dann wieder ab. Durch diese Vertikalwanderungen findet ein Energietransport in die Tiefe statt. Zu den Wanderern gehören einige Fischarten und Quallen, aber auch große Teile des Zooplanktons: kleine Krebstiere, Einzeller, Würmer und Larven.

Satellitenaufnahme einer riesigen Planktonblüte im Norden Europas

Plankton – Nahrungsbasis für das Leben in Meer

Zeitweilige Hot-Spots für Nahrung entstehen immer dann, wenn Kadaver von größeren Meeresbewohnern auf den Grund sinken. Sie werden von den Aasfressern wie Krabben, Aalen und Riesenasseln bis auf die Knochen abgenagt.

Die große Ausnahme auf dem Tiefsee-Speiseplan bilden die Ökosysteme an den Thermalquellen. Hier nutzen Bakterien den frei werdenden Schwefelwasserstoff, um aus Kohlenstoffdioxid organische Verbindungen zu gewinnen.

Die Produktion von Biomasse, die dann als Nahrung dient, findet also nicht mithilfe von Sonnenenergie, sondern mit Energie aus dem Erdinneren statt. Nutznießer ist die am schnellsten wachsende Fauna der Tiefsee: meterlange Röhrenwürmer, riesige Muscheln und Krebse.

Wie passen sich Tiere an den Lebensraum Tiefsee an?

Ein Faktor, mit dem die Tiefseebewohner zurechtkommen müssen, ist die Dunkelheit. Sie haben unterschiedliche Strategien entwickelt: Bei einigen sind die Augen hoch empfindlich und sehr groß, um das wenige Licht optimal wahrnehmen zu können.

Ein Extrembeispiel ist der Koloss-Kalmar, dessen Augen größer als Fußbälle sind. Im Gegensatz dazu sind die Augen des Pelikanaals winzig klein. Er lebt in bis zu 7000 Metern Tiefe in völliger Finsternis.

Pelikanaal (Eurypharynx pelecanoides)

Der Pelikanaal kann sein Maul weit aufklappen

Doch selbst hier lohnt es sich sehen zu können. Warum, davon haben Forscher berichtet, die bei ihren Expeditionen in die Dunkelzone (unter 1000 Meter) vorgedrungen sind. Ihnen bot sich ein besonderes Schauspiel: Die völlige Dunkelheit wird unterbrochen von den bläulichen Lichtblitzen der biolumineszent leuchtenden Organismen.

Man geht davon aus, dass 90 Prozent der Tiefseebewohner in der Lage sind, eigenes Licht zu erzeugen. Der Ruderfußkrebs Metridia longa beispielsweise kann eine bläulich leuchtende Wolke absondern. Forscher vermuten, dass er damit Fressfeinde irritieren will, die erst die Wolke angreifen, während er selbst Zeit hat zu flüchten. Biolumineszenz wird auch zur Tarnung und zum Anlocken von Beute oder Fortpflanzungspartnern genutzt.

Wegen des kargen Nahrungsangebots muss der eigene Energieverbrauch möglichst gering gehalten werden. Viele Räuber lauern ihrer Beute auf, statt aktiv nach ihr zu jagen.

Ein prominentes Beispiel ist der Anglerfisch, der mit einem biolumineszent leuchtenden Fortsatz am Kopf potenzielle Opfer anlockt. Man nimmt an, dass einige Tiere im Frühjahr, wenn relativ viel Nahrung zur Verfügung steht, Energie speichern. In den kargeren Jahreszeiten legen sie dann Ruhephasen ein, die dem Winterschlaf einiger Landtiere ähneln.

Modell eines Schwarzanglers.

Mit leuchtender Angel auf Beutefang

Wie viel wissen wir über die Tiefseefauna?

Tiefseeforschung ist technisch extrem anspruchsvoll und teuer. Neben Tauchbooten wie "Alvin", mit dem 1977 die ersten unterseeischen Thermalquellen entdeckt wurden, gibt es mittlerweile auch ferngesteuerte Tauchroboter. Der Umgang mit den Versuchsobjekten gestaltet sich in jedem Fall als schwierig bis unmöglich.

Tiefseefische, die an die Oberfläche geholt werden, überleben nur wenige Stunden; der Druckunterschied ist einfach zu groß. Es ist bereits geglückt, Flohkrebse vom Grund des Marianengrabens in einem Titanblock zu fangen, in dem die Druckverhältnisse konstant auf Tiefseeniveau bleiben. Wissenschaftler können die Tiere durch kleine Öffnungen im Block beobachten.

Die Alvin wird mit einem Kran vom Schiff ins Wasser gelassen.

Tauchboot Alvin – alter Hase der Tiefseeforschung

Solchen Erfolgen zum Trotz – die scheinbar unendlichen Weiten der Tiefsee sind bisher nur bruchstückhaft erforscht worden. Hinzu kommt der Einfluss, den der Mensch bereits durch Überfischung, Verschmutzung und Klimawandel auf das Ökosystem genommen hat.

Für Biologen wird es immer schwieriger, den natürlichen Zustand vom Zustand, der erst durch unser Einwirken entsteht, zu unterscheiden. Teile des Ökosystems Tiefsee werden zerstört, bevor sie überhaupt erforscht werden können. Wissenschaftler gehen davon aus, dass bisher nur ein Bruchteil aller in der Tiefsee lebenden Arten bekannt ist.

(Erstveröffentlichung 2009. Letzte Aktualisierung 04.11.2019)

Quelle: WDR

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