Der gute Schiffsgeist ist immer dabei
Auf den Schiffen herrschten oft schlimme hygienische Bedingungen: Die Zwischendecks waren mit Fäkalien verschmiert, manchmal brachen tropische Krankheiten aus und die Ernährung bestand aus Pökelfleisch mit Maden und verfaultem Wasser. So war die Stimmung unter den Männern oft hochexplosiv.
Außerdem waren sie auf ihren langen Reisen häufig Stürmen und den Gefahren des Meeres ausgesetzt. Matrosen verloren oben im Mast den Halt und stürzten aufs Deck oder sie rutschten bei Unwetter über Bord und ertranken. Das Sterben gehörte viele Jahrhunderte zum Alltag auf See.
In dieser Atmosphäre wuchs jede Form von Aberglauben. Die oft leichtgläubige Besatzung sog Geschichten und Sagen von Geisterschiffen, Kobolden und Seeungeheuern förmlich auf. Ein bei Seefahrern weit verbreiteter Aberglaube ist der vom Klabautermann, einem guten Schiffsgeist, der unsichtbar ist und auf jedem Segelschiff mitfährt.
Der Klabautermann war angeblich immer dabei
Der Klabautermann sah angeblich auf einem Schiff nach dem Rechten. Des Nachts ging er mit seinem Hammer umher und klopfte Planken, Wände und Zwischendecks ab, um verfaultes Holz und undichte Stellen zu finden. So zeigte er dem Bordzimmermann, was zu reparieren war. Polterte es im Laderaum, wussten die Seemänner, dass der kleine bärtige Kobold die verrutschte Fracht umstaute und sicherte.
Unheimlich war der Schiffsgeist den Seeleuten allemal. Denn wenn man den Klabautermann zu Gesicht bekam, drohte dem Schiff und der Besatzung großes Unglück. Es war das sichere Zeichen dafür, dass das Schiff bald untergehen würde, da der Klabautermann sich nochmals als letzte Warnung zeigte, bevor er das Schiff verließ.
War jedoch ein Segelschiff gut geführt und der Kapitän ein vorausschauender Seefahrer, der seine Mannschaft gerecht behandelte, blieb auch der Klabautermann dem Schiff gewogen.
Angst und Naivität regen die Phantasie an
Viel Seemannsgarn und Aberglaube beruht letztendlich auf der Angst und Naivität der Seeleute. Sie erlebten verheerende Unwetter, optische Täuschungen oder Luftspiegelungen mit und führten dies in ihrer Phantasie auf Gespenster oder Seeungeheuer zurück.
In den Beschreibungen der Seemänner tauchen haarige Meeresgeschöpfe, große Kraken und Seeschlangen auf, die bei näherer Betrachtung Walen, Seehunden, Seealgen und Riesenkalmaren ähneln.
Nicht selten dürften sich nach der Heimkehr der Seeleute auch Übertreibung und Prahlerei in ihre Erzählungen eingeschlichen haben. Oder die Seemänner waren einem Naturphänomen begegnet, das sie nicht zu deuten wussten.
Besonders eine mysteriöse Erscheinung zog die Seemänner in ihren Bann und beflügelte ihre Phantasie: Wenn das Schiff nachts ruhig auf der See schaukelte, konnten die Männer in ihren Kajüten seltsame, melodische Geräusche hören. Sie glaubten, dem Gesang der Meerjungfrauen zu lauschen. Oder sollten sie gar die Stimmen der Sirenen in die Tiefe des Meeres locken?
Heute ist bekannt, dass die Seeleute wohl die Unterhaltung von Walen gehört haben müssen, deren Laute bei stiller See durch die Bordwand dringen.
Der Seemann, die Zigarette und die Kerze
Ein alter Aberglaube sagt, dass jedes Mal ein Seemann stirbt, wenn jemand sich eine Zigarette an einer Kerze anzündet. Seemännischer Aberglaube hat oft einen realen Hintergrund, so auch in diesem Fall.
Wenn Seeleute keine Heuer auf einem Schiff bekamen, wenn sie meist während des Winter ihre Zeit zwangsweise an Land verbrachten und damit ohne Einnahmen waren, verdienten sich viele Seemänner durch den Verkauf von Streichhölzern etwas dazu.
Wer sich also seine Zigarette an einer Kerze und nicht mit einem Streichholz anzündete, brachte einen Seemann um seinen Verdienst. Man raubte ihm seine Existenz oder, übertrieben formuliert, man beförderte ihn an den Rand des Todes.
Wie hat er seine Zigarette angezündet?
(Erstveröffentlichung 2007. Letzte Aktualisierung 30.09.2019)
Quelle: SWR