Arbeiter stehen auf einem Gerüst

Werkstoffe

Stahl

Stahl ist eine Legierung, also ein Mischmetall, das durch Zusammenschmelzen mehrerer Stoffe entsteht. Seine Herstellung ist eine Wissenschaft für sich. Sogar Sagen ranken sich um den Werkstoff.

Von Sine Maier-Bode

Wielands Schwert Mimung

Wieland der Schmied, so erzählt es etwa eine germanische Sage, feilte eine Klinge zu feinen Eisenspänen und verfütterte sie an Hühner. Aus dem Kot der Hühner schmiedete er sein Schwert Mimung, das alle anderen Schwerter übertraf.

Eine Erzählung mit wahrem Kern: Heute weiß man, dass der Stickstoff des Hühnerdungs die Qualität der Waffe erheblich verbesserte. Die Herstellung von Stahl war und ist eine Wissenschaft für sich.

Die Entdeckung als Werkstoff

Stahl ist eine Legierung, also ein Mischmetall, das durch Zusammenschmelzen mehrerer Stoffe entsteht. Heutzutage gibt es weltweit mehr als 2500 genormte Sorten Stahl, alle davon überwiegend aus Roheisen.

Roheisen besteht aus dem Element Eisen und mehr als drei Prozent Kohlenstoff. Der hohe Kohlenstoffanteil macht Roheisen spröde, so dass es leicht zerbricht. Gewonnen wird das Roheisen aus Eisenerz.

Heutzutage geschieht dies in Hochöfen. Das dort gewonnene Roheisen wird im Stahlwerk weiter zu Stahl verarbeitet. Stahl hat nur noch einen Kohlenstoffanteil von weniger als zwei Prozent.

Das macht das Material weicher, so dass es sich nun gut schmieden und walzen lässt. Stahl ist elastisch, aber stabil und widerstandsfähig und deshalb ein beliebter Werkstoff. Doch bis zur Stahlherstellung der heutigen Zeit war es ein langer Weg.

Die Geschichte des Stahls beginnt vor mehr als 5000 Jahren: Die Ägypter verarbeiten damals allerdings eisenhaltiges Meteoritengestein, das irgendwann einmal aus dem Weltall auf der Erde landete. Die ersten Menschen, die es verstehen, Eisen zu Stahl zu bearbeiten, leben etwa 1400 vor Christi Geburt im Nahen Osten.

In Europa beginnt die Stahlverarbeitung erst mit dem Beginn der Eisenzeit. Etwa 800 vor Christus entdecken die Kelten die ersten großen Eisenerzvorkommen in Oberösterreich. Sie lernen, das Eisen durch Erhitzen zu härten und stellen fortan Waffen, Werkzeuge, aber auch Schmuck und Schüsseln aus Eisen her.

Stahl wird flüssig

Bis man hierzulande Eisen auch gießen kann, dauert es aber noch lange Zeit. Die Temperaturen, die die Kelten in den sogenannten Rennöfen hervorbringen, reichen nur, um eine teigige Masse zu erhalten, die "Luppe". Durch Hämmern können sie die Schlacke aus der Luppe heraus treiben und das Material weiterverarbeiten.

Erst die Entwicklung der Hochöfen seit dem 14. Jahrhundert macht es möglich, das Eisen so weit zu erhitzen, dass es flüssig bleibt.

Der Hochofen der damaligen Zeit ist aber nur begrenzt mit heutigen Hochöfen zu vergleichen. Braucht man im 17. Jahrhundert noch vier Tonnen Holzkohle, um eine Tonne Roheisen zu erhalten, so wird heute weniger als eine halbe Tonne Kokskohle für die Produktion von einer Tonne Roheisen benötigt.

Das Gemälde 'Die Harkortsche Fabrik auf Burg Wetter an der Ruhr' von Alfred Rethel zeigt den ersten Hochofen in Westfalen, der 1826 errichtet wurde.

1826: Der erste Hochofen in Westfalen

Stahl wird Massenware

Schon früh entdeckten die Menschen, dass man aus Stahl nicht nur Schmuck und Töpfe, sondern auch Werkzeuge und Waffen herstellen kann. Auf der Suche nach immer besseren, widerstandsfähigeren Waffen entwickelt Henry Bessemer Mitte des 19. Jahrhunderts ein neues Verfahren, das noch lange Zeit in Gebrauch bleiben soll.

Das Bessemer- oder Thomasverfahren erleichtert die Stahlherstellung, indem es Pressluft einsetzt. Bis dahin mussten die Arbeiter unter größten körperlichen Anstrengungen die Stahlschmelze durchrühren, um die unbrauchbaren Stoffe vom Eisen zu trennen. Nun schafft dies eine Maschine.

Auch das Siemens-Martin-Verfahren, das es ermöglicht, Schrott zu Stahl umzuschmelzen, fördert die Stahlproduktion. 1850 produziert jeder Hochofen-Arbeiter acht Tonnen Roheisen im Jahr, 20 Jahre später schon die zehnfache Menge.

Je schneller und preiswerter sich Stahl herstellen lässt, desto gefragter wird er. Es ist das Zeitalter der Industrialisierung. Neue Erfindungen und technische Entwicklungen befruchten sich gegenseitig. Um die immer größer werdenden Mengen an Kohle, Eisen und Stahl zu transportieren, braucht man Eisenbahnen und Schienen, die dank der Fortschritte im Eisenhüttenwesen immer stabiler werden.

Stahl wird nun auch für die Massenproduktion eingesetzt. Ob Eisenbahnen, Autos, Schiffe, Flugzeuge oder Panzer – die Fahrzeugindustrie wäre ohne Stahl nicht denkbar.

Historische Aufnahme des Schmiedehammers 'Fritz', den Krupp seit 1861 einsetzte. Zu sehen ist der Hammer und viele Arbeiter, die ihn bedienen.

Der Schmiedehammer "Fritz" von Krupp

Stahlbarone

Anfang des 19. Jahrhunderts gründet Friedrich Krupp in Essen eine Gussstahlfabrik. Er ist einer der ersten in Deutschland, denn damals kommt Stahl vor allem aus England. Als sein Sohn Alfred Krupp die Firma 1826 übernimmt, hat sie sieben Mitarbeiter. Bei seinem Tod 1887 hinterlässt er ein Unternehmen mit etwa 20.000 Beschäftigten.

Ein Meilenstein für die Firma ist der Bau bruchsicherer, nahtlos geschmiedeter Räder für Eisenbahnen. In Form von drei ineinander geschlungen Ringen werden sie zum Logo von Krupp.

1912 entdecken Wissenschaftler der Firma Krupp per Zufall, wie man rostsicheren Stahl herstellen kann. Der sogenannte V2A- oder Edelstahl ist eine Legierung aus Eisen, Chrom und Nickel. Benutzt wird er unter anderem in der Medizintechnik und für Küchengeräte.

Schwarzweiß-Foto von Alfred Krupp.

Erfolgreich und eigen: Alfred Krupp

Das Familienunternehmen wächst weiter, nur wenige Konkurrenten können mithalten. Einer von ihnen ist August Thyssen, der 1870 seine erste Stahlfabrik in Mülheim an der Ruhr errichtet. Anfang des 20. Jahrhunderts erzeugen die Thyssen-Werke sogar mehr Stahl als ihr größter Konkurrent Krupp.

Doch die Firma Krupp genießt das besondere Vertrauen des Kaiserhauses und wird daher Hauptlieferant von Kriegsmaterial. Ein Geschäft, das der Firma auch hohe Exporteinnahmen bringt.

Die Macht der Stahlindustrie

Der Erste Weltkrieg wird zu einem industriell geführten Krieg, an dem schließlich nicht nur Krupp, sondern die gesamte Schwerindustrie beteiligt ist. Für den Krieg werden immer mehr Waffen benötigt.

Nicht nur die Politik, auch die Schwerindustrie ist an den kriegerischen Eroberungen interessiert, denn sie benötigt Rohstoffe für ihre Stahlproduktion. Die größten Eisenerzvorkommen liegen in Lothringen. Doch auch für Belgien, Polen, die baltischen Staaten und sogar für Afrika formuliert die Industrie Gebietsansprüche.

Trotz der Niederlage im Ersten Weltkrieg wird Deutschland 1929 nach den USA wieder mit Abstand der zweitgrößte Stahlproduzent der Welt. Teilweise im Geheimen beginnen die Stahlunternehmen auch wieder mit der Entwicklung von Rüstungsgütern.

Während Gustav Krupp von Bohlen und Halbach den Nationalsozialisten anfangs noch distanziert gegenübersteht, tritt Fritz Thyssen schon 1931 in die NSDAP ein und unterstützt Hitlers politisches Programm. Dennoch ist es die Firma Krupp, die im Zweiten Weltkrieg zur "Waffenschmiede des Reiches" wird. Sie arrangiert sich mit der Politik Hitlers und profitiert erheblich von der nationalsozialistischen Rüstungspolitik.

Fritz Thyssen hingegen, der Hitler in den 1930er-Jahren noch stark unterstützt hat, wandert 1939 aus Deutschland aus, enttäuscht von der gewaltvollen nationalsozialistischen Politik.

Schwarzweiß-Bild: Fritz Thyssen mit Joseph Goebbels

Fritz Thyssen (rechts) mit Joseph Goebbels

Zwischen Hoffen und Bangen

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs scheint die Stahlindustrie zunächst am Boden. Aber schon in den 1950er-Jahren blüht sie wieder auf und wird zum Symbol des wirtschaftlichen Wiederaufbaus Deutschlands. Doch die Entwicklung in der Stahlindustrie steht nicht still.

Immer bessere Verfahren führen dazu, dass man mit weniger Arbeitern weitaus größere Mengen an besserem Stahl herstellen kann. Die Weltwirtschaftskrise von 1973 schließlich bringt das Wachstum der Stahlproduktion praktisch zum Stillstand, von dem sie sich bis heute nicht mehr erholt hat.

In den westlichen Industrienationen schließen zahlreiche Stahlwerke. Zwar wächst im Fernen Osten wieder die Nachfrage nach Stahl, allerdings steht auch dort die Entwicklung nicht still, und viele Länder stellen inzwischen selbst Stahl her.

Dennoch sieht die Zukunft für die Stahlindustrie in Deutschland nicht vollkommen hoffnungslos aus: Moderne Technik macht Stahl heute zu einem Werkstoff, der den Anforderungen der Zeit entspricht. Recycling steht bei der Stahlindustrie ganz vorne, denn etwa 40 Prozent des heutigen Rohstahls besteht aus Schrott.

Während die großen Unternehmen fusionieren, entstehen viele kleinere Stahlbetriebe, sogenannte "Mini-Mills", die hochwertige Spezialstähle produzieren. Und gerade hier liegt, nach Ansicht einiger Experten, heute die Zukunft der Stahlindustrie.

Arbeiter zwischen Rollen von kaltgewalztem Feinblech

Die Stahlindustrie muss sich spezialisieren

(Erstveröffentlichung: 2005. Letzte Aktualisierung: 26.06.2018)

Quelle: WDR

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