Erben und Vererben
Was muss ich beim Erbe beachten?
Viele Erbfälle sorgen für Streit in der Familie oder landen sogar vor Gericht. Deswegen sollte sich jeder frühzeitig informieren – ob als potenzieller Erbe oder als Erblasser, also als derjenige, der vererbt.
Von Barbara Garde, Andrea Schultens und Marie-Luise Nilges
Muss ich überhaupt ein Testament machen?
"Ich habe sowieso nicht viel zu vererben", "Meine Familie versteht sich gut, die werden das schon regeln" oder "Das ist doch sowieso alles im Gesetz geregelt" sind verbreitete Ansichten, wenn es um die Zeit nach dem eigenen Tod geht, um das Erben und Vererben. Nur 39 Prozent aller potentiellen Erblasser haben einer repräsentativen Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach von 2018 zufolge ein Testament gemacht.
Die Vorstellung, dass sich alles wie von allein regelt, erweist sich jedoch im Nachhinein häufig als Trugschluss. Denn auch wenn es nur um geringe Werte geht, verursacht ein Todesfall oft Unstimmigkeiten bis hin zum ausgiebigen Familienstreit.
Im Erbfall brechen oft alte Familienkonflikte auf, Emotionen und Streitpunkte kommen zum Ausbruch, die vorher versteckt blieben. Auch wer also glaubt, die Hinterbliebenen seien sich einig oder das Erbe würde schon gerecht aufgeteilt werden, sollte sich unbedingt selbst kümmern, wenn ihm der Familienfriede lieb ist.
Wie gestalte ich ein Testament?
In Deutschland herrscht Testierfreiheit. Das heißt: Jeder kann im Rahmen der Gesetze seinen Nachlass regeln, wie er möchte, indem er ein Testament verfasst.
Dazu sollte man zunächst alle Werte und Besitztümer auflisten, die es zu vererben gilt, und sich überlegen, an wen man was weitergeben will. So kann man auch Personen bedenken, die nicht zur Familie gehören und keine Erben mit allen Rechten und Pflichten sind. Diese erhalten ein Vermächtnis – eine Geldsumme, ein Schmuckstück oder etwas anderes aus dem Besitz des Erblassers.
Um sicher zu sein, dass der letzte Wille juristisch korrekt und gültig formuliert ist, sollte man sich von einem Notar beraten lassen. Wer die Kosten scheut und sein Testament allein verfassen möchte, der muss vor allem beachten, dass es komplett eigenhändig und handschriftlich geschrieben sein muss.
Die Unterschrift ist Pflicht. Außerdem ist ein Datum hilfreich, falls es später mehrere Fassungen des Dokumentes geben sollte. Zudem sollte das Testament so hinterlegt werden, dass es im Todesfall auch gefunden wird.
Das Erbrecht ist nicht leicht zu durchblicken
Die gesetzliche Erbfolge
Gibt es kein Testament, greift die gesetzliche Erbfolge. Zunächst bekommt der überlebende Ehepartner die Hälfte des Vermögens. Dann kommen die Erben erster Ordnung an die Reihe, also die Kinder des Verstorbenen. Sie teilen die andere Hälfte des Vermögens unter sich auf. Ist ein Kind bereits verstorben, geht sein Erbteil an dessen Kinder.
Kinder und Ehepartner haben in Deutschland Anrecht auf einen Pflichtteil. Das ist die Hälfte dessen, was ihnen gesetzlich zusteht. Man kann also Ehepartner und Kinder nicht vollständig enterben. Es sei denn, sie sind wegen einer Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung verurteilt worden.
Manche Ehepartner setzen sich in einem sogenannten Berliner Testament gegenseitig zum Alleinerben ein und lassen die Kinder erst nach dem Tod des anderen Elternteils zum Zuge kommen. Solche Testamente sind bindend. Der überlebende Partner kann dann später kein eigenes Testament mehr machen.
Gibt es keinen Ehepartner oder keine Kinder, kommen die Erben zweiter Ordnung zum Zug: die Eltern und Geschwister des Verstorbenen beziehungsweise deren Nachkommen. Auch die Eltern haben Anspruch auf einen Pflichtteil, falls der Erblasser keine Kinder hatte. Sollte es Erben zweiter Ordnung nicht geben, treten die Erben dritter oder auch vierter Ordnung an, die Nachkommen der eigenen Großeltern beziehungsweise Urgroßeltern.
Und was ist mit Patchwork-Familien?
Das deutsche Erbrecht orientiert sich immer noch am klassischen Familienmodell: verheiratete Eltern und eheliche oder adoptierte Kinder. Familien, die davon abweichen, müssen sehr sorgfältig über die Erbfolge nachdenken – zum Beispiel Patchwork-Familien.
Selbst ein schon verfasstes Testament sollte man immer wieder überprüfen und gegebenenfalls ändern. Denn wenn die Falschen erben, ist Streit vorprogrammiert und zudem der Wille des Erblassers nicht erfüllt.
Nicht miteinander verheiratete oder lebensgemeinschaftlich eingetragene Partner erben automatisch gar nichts. Sie müssen mit einem im Testament verfügten Vermächtnis abgesichert werden. Ähnlich ist es bei Stiefkindern. Auch sie haben keinen Erbanspruch. Und: Jede neugegründete Familie ist wieder eine eigene Erbeinheit.
Ein Beispiel: Peter und Maria sind in zweiter Ehe verheiratet. Beide haben aus der ersten Ehe jeweils ein Kind und sie haben ein gemeinsames Kind. Stirbt Peter, erbt Maria die Hälfte und Peters Kinder aus beiden Ehen teilen sich die andere Hälfte. Marias Kind aus erster Ehe erbt als Stiefkind nichts.
Sollte Peters Kind aus erster Ehe bereits kinderlos verstorben sein, erbt dessen Mutter, Peters erste Ehefrau.
Wenn Maria dann später stirbt, erben allein ihre Kinder und, sollte sie noch einmal geheiratet haben, ihr Mann den Erbteil aus der Ehe mit Peter. Peters Kind aus erster Ehe erbt dann nichts mehr.
Der Stammbaum – bei Patchwork ist er komplizierter
Die Schenkung: Vererben "mit warmer Hand"
Eine Eigentumswohnung für den Sohn, eine Praxis für die Tochter, ein hoher Geldbetrag zur Geburt des Enkels: Es gibt zahlreiche Fälle, in denen die Elterngeneration Teile ihres Besitzes schon vor dem Tod weitergibt. Fachleute sprechen vom "Vererben mit warmer Hand", im Gegensatz zur "kalten Hand" nach dem Tod.
Wie beim Erben werden auch bei Schenkungen von Werten über einem bestimmten Freibetrag Steuern fällig. Bei Kindern sind das 400.000 Euro, bei Enkeln 200.000 Euro. Vererbung mit warmer Hand bietet sich an, um ein großes Erbe schrittweise zu übertragen oder einen Betrieb reibungslos und schon zu Lebzeiten zu übergeben. Und die Methode spart Erbschaftsteuer: Alle zehn Jahre können die Freibeträge aufs Neue ausgeschöpft werden.
Aber auch hier lohnt sich eine individuelle Beratung. Denn wer etwas verschenkt hat, kann es nachträglich nicht zurückfordern. Man sollte also vor einer Schenkung ganz sicher sein, dass man nicht in späteren Jahren vielleicht auf das Geld, die Immobilie oder das Geschenk angewiesen wäre. Es gibt aber die Möglichkeit, die Schenkung an Bedingungen zu knüpfen, wie etwa ein Wohnrecht auf Lebenszeit.
Verschenken: ein Weg Steuern zu sparen
Erbengemeinschaft als Falle
Wenn ein Erblasser keinen Alleinerben bestimmt hat und stattdessen mehrere Personen gemeinsam erben, spricht man von einer Erbengemeinschaft. Hier müssen sich alle gleichberechtigt einigen. Soll ein Haus weiter selbst genutzt oder verkauft werden? Wie soll der Familienbetrieb weitergeführt werden? Gehen die wertvollen Gemälde als Stiftung an ein Museum oder landen sie im Auktionshaus?
Wenn einer der Erben Geld braucht und die anderen können ihn nicht auszahlen, kann das in einer Zwangsversteigerung enden und wohlmöglich muss der überlebende Ehepartner aus dem angestammten Haus ausziehen. In solchen Fällen wäre eine klare testamentarische Verfügung besser gewesen, die dem Ehepartner ein lebenslanges Wohnrecht sichert oder die Betriebsnachfolge regelt. Solche Regelungen können langfristig über Erbverträge oder Abfindungsverträge für nicht erbende Kinder geregelt werden.
Erbstreitigkeiten: Eine Mediation kann helfen
Kommt es in einem Erbfall zu Zerwürfnissen, dann kann eine außergerichtliche Mediation helfen. Die Kontrahenten sollen an einen Tisch und miteinander ins Gespräch gebracht werden. Denn eigentlich, so der Mediator und Erbenberater Albert Eckert, gehe es um tiefer liegende und weiter zurückliegende Beziehungsstrukturen:
"Meist entsteht ein Erbstreit nicht, weil jemand in diesem Moment zu kurz kommt, sondern es ist eher ein Zeichen dafür, dass diese Person schon ihr Leben lang immer zu kurz gekommen ist – oder dies zumindest so empfunden hat."
Die Mediation sollte sich deswegen nicht erst im Erbfall einschalten, sondern schon davor: Sie kann helfen, die Erbschaft schon zu Lebzeiten vorzubereiten und zu regeln.
Im angloamerikanischen Raum ist die Mediation weit verbreitet, in Deutschland ist man hier zurückhaltend. Dabei spart sie im Gegensatz zum Prozess Zeit und Geld. Außerdem berücksichtigt sie nicht vorrangig die juristische, sondern die psychologische Seite der Auseinandersetzung.
(Erstveröffentlichung: 2006. Letzte Aktualisierung: 12.03.2021)
Quelle: WDR