Was ist Getreide?
Unter Getreide versteht man eine Gruppe von Gräserpflanzen, deren Samen – die Getreidekörner – essenzieller Bestandteil der menschlichen Nahrung sind. Bekannte Getreidearten sind zum Beispiel Weizen, Roggen und Gerste. Ist das Korn reif, wird es geerntet, gemahlen und landet schließlich auf unserem Esstisch, zum Beispiel als frisch gebackenes Brot.
Kaum ein anderes Nahrungsmittel wird von uns jeden Tag so ausgiebig verzehrt und so vielseitig zubereitet wie Getreide. Schon im "Vater unser" ist die Urbitte des Menschen verewigt: "Unser täglich Brot gib uns heute."
Getreide bringt zwei Eigenschaften mit, die es als Lebensmittel für uns so unentbehrlich machen: einen hohen Nährwert bei gleichzeitig sehr guten Lager-Eigenschaften. Obwohl Getreide über lange Zeiträume gelagert wird, lässt sich aus den Kornfrüchten jeden Tag aufs Neue frisches Brot backen.
Am Anfang war das Getreide
Vor etwa 10.000 Jahren begann der Mensch, systematisch Getreide anzubauen. Ackerbau und Viehzucht machten aus den nomadisierenden Sammlern und Jägern, die sich von Fleisch und essbaren Pflanzenteilen ernährten, sesshafte Menschen.
So besitzt jede Hochkultur ihren ganz eigenen, an die jeweilige Region angepassten Getreideanbau. Die Reiskultur in Asien, die Maiskultur Amerikas, die Hirsekultur in Afrika, die Weizenkultur der Römer und die Gersten- und Roggenkultur der nordischen Völker.
Klima, Boden und landwirtschaftliche Tradition haben jeweils ihre ganz eigenen Formen und Besonderheiten der Kultivierung des Korns hervorgebracht.
Das Ursprungsgebiet des Getreides liegt im Nahen Osten – dem Libanon, dem anatolischen und dem iranischen Bergland. Im Gebiet des sogenannten "Fruchtbaren Halbmondes" wurde Getreide schon früh kultiviert. Dort wuchsen die Getreidearten in der Periode der milden Winter.
Jede Hochkultur besitzt ihren eigenen Getreideanbau
Getreide ist also ursprünglich keine in Europa beheimatete Frucht. Doch die Kulturgräser finden heute bei uns ähnliche Umweltbedingungen vor wie zu früheren Zeiten in ihren Ursprungsländern. Bei uns sind die waldfreien Äcker ideale Anbauflächen, die ein ähnliches ökologisches System und klimatische Bedingungen wie das Ursprungsgebiet im Nahen Osten darstellen.
Längst wird in unseren Breiten eine Vielfalt von verschiedenen Getreidearten angebaut und gezüchtet. Hauptanbaugebiet ist der Westen Eurasiens. Es erstreckt sich von der Westküste Europas bis in die Ukraine. Getreidefrüchte gedeihen hier gut auf den weiten Lößböden.
Die typischen, fruchtbaren, braunen Äckern der Region bildeten sich während der Eiszeiten heraus und sind mineralisch von höchster Qualität. Aufgrund dieser Lößböden besteht in Mitteleuropa eine kontinuierliche, bereits siebentausendjährige Tradition des Getreideanbaus.
Kultur statt Natur
Getreide, das auf unseren Feldern wächst und gedeiht, wird bereits seit Jahrtausenden durch menschliche Eingriffe manipuliert. Doch warum hat sich der Mensch überhaupt so sehr in das Wachstum der Getreidepflanzen eingemischt? Getreidesorten sind Varianten und auch Mutationen. Es sind uralte, immer wieder beeinflusste Kulturpflanzen.
Durch Züchtung und Kreuzung nimmt der Mensch seit Tausenden von Jahren Einfluss auf den Wuchs der Getreidearten. Dazu gehört, möglichst große, möglichst viele Körner zu züchten, die sich als möglichst resistent gegen Klimaschwankungen, Krankheiten und Schädlinge erweisen.
Außerdem muss der Halm der Getreidepflanze, auch Ährenachse genannt, so stabil beschaffen sein, dass er die Last der Frucht auch trägt und nicht abknickt. Am wichtigsten ist, dass die Getreidefrucht auf dem Halm selbst reift, sodass die Ähre die fertigen Kornkörper bis zur Ernte zusammenhält und nicht auf den Boden fallen lässt, wo das Korn keimen und verderben würde.
Nur durch Jahrtausende währende Kreuzung und Züchtung viel versprechender Sorten konnte der Mensch das Korn gewinnbringend anbauen und die Ernteerträge stetig steigern.
Immer wieder beeinflusste Kulturpflanzen
Saatzucht heute
Saatzucht ist weltweit ein sehr intensives Forschungsfeld, auf dem in den vergangenen Jahrzehnten enorme Fortschritte erzielt wurden. Getreideforschung und Saatzucht haben seit 1970 die Ertragsdichte der Ernten bei gleicher Ressourcen-Ausnutzung weltweit verdoppelt.
Ein Teil der Forschung befasst sich etwa damit, die Reifephasen des Korns kürzer werden zu lassen. Ein anderer Teil versucht das Wachstum der Pflanze zu beeinflussen, indem kürzere Halme gezüchtet werden. Statt die ganze Wachstumskraft in den Halm zu investieren, kann die Getreidepflanze bei einem geringeren Halmwachstum mehr Kraft für den Aufbau der Körnerfrucht erübrigen.
Geforscht wird auch in den Kategorien Resistenz gegen Krankheiten, Klimaschwankungen und Ertragsdichte. Das in Hannover ansässige Bundessortenamt bestimmt, was die Bauern bei uns auf den Feldern anbauen dürfen. Im amtlichen Sortenregister wird veröffentlicht, welche Getreidesorten zum Anbau zugelassen sind. Was hier nicht steht, darf nicht aufs Feld.
Das Bundessortenamt setzt sich nachdrücklich dafür ein, dass eine möglichst große Vielfalt der Sorten gewährleistet wird. Biodiversität heißt das Schlüsselwort, der Genpool der verschiedenen Getreidesorten soll durch Einkreuzen alter und wenig angebauter Arten immer wieder aufgefrischt und erneuert werden.
Das Wachstum der Pflanze wird beeinflusst
Bedeutung der Artenvielfalt
Die moderne Saatzucht bedingt mit ihren Ergebnissen grundsätzlich eine Reduzierung der Sortenvielfalt. Aus ökonomischen Gründen werden im modernen Ackerbau diejenigen Sorten bevorzugt, die höchste Erträge bei maximaler Resistenz des Korns versprechen.
Es besteht also die Gefahr eines Verlusts der Artenvielfalt, wenn statt vielen verschiedenen Sorten nur noch wenige Sorten mit garantiert hoher Ertragsdichte angebaut werden.
Die Landwirtschaftsindustrie hat sich auf diese einschlägigen Sorten längst eingestellt. Für jede einzelne Getreidesorte gibt es Fungizide, Insektizide sowie weitere spezialisierte Schädlingsbekämpfungsmittel.
Genauso ist es mit dem Dünger: Jede Sorte hat ihren ganz eignen Düngerschlüssel. Doch die normalen natürlichen Bedrohungen der riesigen Monokulturen führen bei mangelnder Biodiversität zu kaum kontrollierbaren Schadensbilanzen. Denn der Befall von spezialisierten Schädlingen, Pilzen oder Krankheiten findet seinen idealen Nährraum gleich großflächig vor.
Der klassischen Saatforschung, die mit modernsten Mitteln Getreide züchtet und auch auf dem Gebiet der Gentechnik arbeitet, steht das Lager der biologisch-dynamischen Landwirtschaft gegenüber, die sich vor allem für ein ökologisch-nachhaltiges Getreidezuchtprogramm einsetzt. Auch die biologisch-dynamische Landwirtschaft bedient sich herkömmlicher Kreuzungsmethoden.
So gegensätzlich, wie die beiden Ansätze scheinen, sind sie jedoch gar nicht. In der biologisch-dynamischen Landwirtschaft werden Kulturpflanzen ebenso wie in der klassischen Saatforschung von Menschenhand gezüchtet und manipuliert. Dagegen achtet die klassische Saatforschung ganz erheblich auch auf eine ökologisch sinnvolle, umweltgerechte und umweltverträgliche Züchtung.
Die waldfreien Äcker sind ideale Anbauflächen
Quelle: SWR | Stand: 02.06.2020, 09:03 Uhr