Die Anfänge des Bootsbaus
Historiker können nicht exakt sagen, wann die Menschen die ersten Boote bauten. Sie gehen davon aus, dass unsere Vorfahren vor etwa 10.000 Jahren entdeckten, dass sie sich auf oder im Wasser fortbewegen konnten, wenn sie sich an einen Holzbalken klammerten oder auf einen Hohlkörper setzten, der nicht unterging.
Die Menschen bauten ihre ersten Wasserfahrzeuge mit Holz, Papyrus, Binsen und Tierfellen. Die Ägypter fertigten schon vor mehr als 4000 Jahren hochentwickelte Boote: 1954 fanden Archäologen in der Cheops-Pyramide von Gizeh eine 43 Meter lange und in 1224 Einzelteile zerlegte Barke des Pharaos.
Die Ägypter hatten das aus Zedernholz gefertigte Schiff etwa um 2600 vor Christus gebaut und setzten es vermutlich als Teil einer Kulthandlung ein: Der verstorbene Pharao sollte im Sonnenschiff auf dem Himmelsbogen fahren. Restauratoren haben die Barke inzwischen wieder zusammengesetzt. Sie wird in einem eigenen Museum ausgestellt.
Über 4000 Jahre alt: die Königsbarke des Pharao Cheops
Floß
Eines der ältesten Wasserfahrzeuge ist das Floß: Die Menschen banden Holzstämme mit Hanf aneinander. Damit trieben sie durch das Wasser oder sie stießen sich mit langen Stangen ab, um sich fortzubewegen.
Diese Art Floß konnten sie aber nur schwer kontrollieren. Leichter ging es mit einem Einbaum. Sie höhlten den Holzstamm innen aus, um im Wasser einen besseren Auftrieb zu haben.
Das Floß gehört zu den ältesten Wasserfahrzeugen
Einbaum
Die Herstellung von Einbäumen war mühsam: Die Arbeiter höhlten die Holzstämme mit Steinwerkzeugen aus und brannten sie danach vorsichtig aus. Einbäume gibt es in unseren Breiten seit vielen tausend Jahren.
Den ältesten erhaltenen Einbaum – gleichzeitig das älteste gefundene Boot weltweit – entdeckten Bauarbeiter 1955 in dem holländischen Dorf Pesse. Der drei Meter lange und 45 Zentimeter breite Einbaum stammt aus der Zeit um 6300 vor Christus, ist also mehr als 8000 Jahre alt.
Weitere Funde machten deutlich, dass die Menschen die Herstellung von Einbäumen immer weiter perfektionierten. Um mehr Güter transportieren zu können, bauten sie zunächst längere Einbäume, dann nahmen sie auch konstruktive Veränderungen vor. Damit die Einbäume nicht kenterten, flachten Arbeiter den Boden ab.
Mühsames Werk: der Bau eines Einbaums
Um den Auftrieb zu verbessern, machten sie die Bordwand immer dünner. Damit die Festigkeit des Materials erhalten blieb, bauten die Arbeiter Stege zur Versteifung ein; schließlich begannen sie, die Seiten aufzuplanken und einen löffelförmigen Bug zu bauen.
Die Menschen kannten die Bootsbautechnik des Aufplankens wohl schon vor vielen Tausenden von Jahren. Die Reste eines rund 4600 Jahre alten Einbaums, der in Dänemark gefunden wurde, gelten als wichtigster Beleg dafür. Weitere Verbesserungen erreichten die Bootsbauer, indem sie den Einbaum längs oder quer auftrennten. Dann bauten sie mithilfe von Planken einen Schiffsboden.
Erste Fellboote
Der Bootsbau nahm jedoch nicht überall den gleichen Entwicklungsverlauf. In unseren Breiten nutzten vor allem sesshafte Jäger- und Sammlerkulturen den Einbaum zum Fischfang. Auch Bauerngemeinschaften der mittleren Steinzeit nutzten die Boote, um Fische zu fangen.
Nomadisierende Jäger hatten andere Bedürfnisse. Der Einbaum war so schwer, dass sie ihn nicht auf dem Landweg transportieren konnten.
Der Bremerhavener Schiffshistoriker Detlev Ellmers schreibt, dass sich aus altsteinzeitlichen Höhlenmalereien und Gravierungen ersehen lasse, dass diese Jäger und Sammler auf ihren Beutezügen die sommerlichen Schmelzwasserströme am Ende der Eiszeit überqueren mussten. Sie bauten deshalb leichte, auch über Land transportierbare Boote.
Vermutlich waren dies Fellboote, wie wir sie von den mit Seehundfellen bespannten Kajaks der Inuit kennen. Während die Steinzeitmenschen das Gestell der sogenannten "Umiaks" aus Walknochen herstellten, verwendeten die frühen Bootsbauer auf den britischen Inseln Eschenholz und bespannten ihre "Curraghs" häufig mit Rindsleder.
Wissenschaftler haben Fellboote an vielen Orten der Erde gefunden. Die Menschen mancher Naturvölker bauen solche Boote mitunter noch heute. Neben Tierfellen nutzten sie auch Rindenstücke für ihre Boote, die sie einzeln vernähten und mit Harz abdichteten.
Aus Walknochen und Robbenfell: das Kajak der Inuit
Paddel, Ruder, Segel
Sowohl den Einbaum als auch das Fellboot bewegten die Fahrer anfangs mit einem Paddel, das auch als Steuer diente. Die Inuit verwendeten schon frühzeitig das Doppelpaddel, das die Menschen im mitteleuropäischen Raum allerdings kaum nutzten.
Während das Stechpaddel an der Bordwand entlanggezogen wird, liegt das Ruder auf der Bordwand auf und wird mit beiden Armen bewegt. Mit einem solchen zweiarmigen Hebel erzielten die Seefahrer eine höhere Kraftübertragung als beim einfachen Paddel – vor allem dann, wenn sie mehrere Riemen im gleichen Takt bewegten.
Diese Art der Fortbewegung kannten bereits die alten Ägypter. Doch erst die Griechen und Römer perfektionierten die Rudertechnik so weit, dass sie damit zu führenden Seefahrernationen aufsteigen konnten.
Neben der Rudertechnik brachte vor allem das Segel in der Geschichte der Schifffahrt einen großen Fortschritt. Auch hier deuten Zeichnungen darauf hin, dass es die Ägypter bereits sehr früh zur Fortbewegung ihrer Schiffe einsetzten.
Welche Art von Segeln die Ägypter bevorzugten, lässt sich nicht eindeutig rekonstruieren. Alte Darstellungen lassen vermuten, dass sie neben dem schräg gestellten, dreiecksförmigen Lateinersegel vor allem Rahsegel bauten, die sie rechtwinklig zum Mast aufhängten. Mit solchen Schiffen unternahmen die Ägypter längere Schiffsreisen auf dem Mittelmeer und dem Roten Meer.
Xingu-Indianer paddeln im Amazonasgebiet
Phönizische Handelsschiffe auf dem Mittelmeer
Wissenschaftler halten die Phönizier für die erfolgreichsten Bootsbauer und Seefahrer der Antike. Sie statteten ihre bis zu 30 Meter langen Handelsschiffe mit Mast, Rahsegeln und Rudern aus. Um große Lasten transportieren zu können, bauten sie Schiffe mit bauchigem Rumpf.
Mit diesen Schiffen unternahmen die Phönizier ausgedehnte Handelsreisen, auf denen sie erste Kolonien gründeten. Sie sollen bereits um 600 vor Christus erstmals den afrikanischen Kontinent umrundet haben, befuhren danach regelmäßig die Straße von Gibraltar und segelten auf dem Atlantik bis nach Britannien.
Das Relief eines phönizischen Handelsschiffs
Griechische Galeeren
Nach und nach übernahmen andere Völker die Bootsbau-Techniken der Phönizier – die Griechen erwiesen sich dabei als besonders geschickte Handwerker. Sie bauten ihre Galeeren nach phönizischem Vorbild. Je nachdem, wie viele Ruderer an Bord waren und in welcher Anordnung sie saßen, teilten die Griechen die Schiffe in verschiedene Klassen ein.
Hatte das Schiff lediglich zwei paarweise angeordnete Bänke für die Ruderer, nannten sie es "Bireme". Waren es drei zum Teil übereinander angeordnete Bänke, so war dies eine "Trireme". Diesen schlanken, leicht zu manövrierenden Bootstyp bauten die griechischen Bootsbauer sehr häufig.
An Bord saßen bis zu 170 Ruderer, die bei günstigen Bedingungen das Schiff auf bis zu neun Knoten beschleunigten, was ungefähr einer Geschwindigkeit von 16 Kilometern pro Stunde entspricht.
Auf langen Strecken und bei günstigen Winden setzten die Seefahrer das Segel ein. Die Trireme bauten die Griechen vor allem als Kriegsschiff. Unterhalb der Wasserlinie befand sich ein bronzeummantelter Rammbock, mit dem sie gegnerische Schiffe versenkten.
Griechische Kriegsgaleere für 50 Ruderer
Römergaleeren
Anders als bei den Griechen spielte der Bootsbau bei den Römern zunächst keine herausragende Rolle. Das änderte sich erst, als Rom mit Kathargo um die Vorherrschaft im Mittelmeerraum kämpfte. Die Römer besaßen zur damaligen Zeit keine nennenswerte eigene Kriegsflotte.
Sie unternahmen jedoch vor dem ersten Punischen Krieg (264 bis 241 vor Christus) gewaltige Anstrengungen und kopierten nach griechischem Vorbild massenhaft Galeeren. Als besonders erfolgreich galt die "Quinquereme". Insgesamt 300 Ruderer ackerten an Bord, wobei jeweils 180 von ihnen neben- und übereinander sowie leicht versetzt an den Ruderriemen saßen. Zusätzlich waren noch 120 kampferprobte Elitesoldaten an Bord.
Die Römer statteten die Quinquereme in der Regel nicht mit einem Rammbock aus, sondern mit einer Enterbrücke. Fuhr ein gegnerisches Schiff vorbei, ließen die römischen Soldaten sie auf dessen Deck nieder und stürmten das feindliche Schiff. Die Einführung der Enterbrücke gilt als entscheidende Innovation, die letztlich die Überlegenheit der römischen Flotte ausmachte.
Es dauerte allerdings noch einmal gut 120 Jahre, ehe Rom nach dem 3. Punischen Krieg (149-146 vor Christus) Karthago endgültig besiegen und damit zur Hegemonialmacht aufsteigen konnte.
Vorderteil einer römischen "Quinquereme"
Binnenschifffahrt in Mitteleuropa
Seit der Ausdehnung des Römischen Reiches fuhren Galeeren auch regelmäßig auf germanischen Gewässern. Mit der Romanisierung und der damit einhergehenden wachsenden Bedeutung der Städte als Handelsplätze wuchs die Bedeutung von Schiffbau und Schifffahrt, vor allem auf dem Rhein.
Mit dem Auftauchen der römischen Kriegsschiffe kamen neue Technologien über die Alpen nach Mitteleuropa. Die einheimischen Bootsbauer übernahmen sie im Laufe der Zeit und intensivierten den Schiffsbau. Zunächst bauten sie kleine und größere römische Kriegsschiffe.
Später wurden die Galeeren auch als Frachtschiffe genutzt. Das berühmte "Neumagener Weinschiff" gilt als Beleg für diese Entwicklung. Dabei handelt es sich um das Grabmal eines offensichtlich wohlhabenden Weinhändlers aus dem Jahr 220 nach Christus. Bei der Steinskulptur auf dem Grabstein handelt es sich um ein römisches Kriegsschiff, das von 22 Ruderern und zwei Steuerleuten gefahren wird und mit Weinfässern beladen ist.
Nachbau eines römischen Weinschiffs
Wikingerschiffe
Neben den römischen Galeeren waren es dann vor allem die Schiffe der Wikinger, die im ersten Jahrtausend nach Christus dem Schiffsbau und der Schifffahrt neue Impulse gaben. Die Wikinger waren außergewöhnlich geschickte Bootsbauer, die ohne Sägen und nur mit Axt und Dechsel – einem beim Bootsbau benutzten Schlagbeil – die Planken für ihre Boote bearbeiteten.
Die Wikinger setzten die Bohlen mit Eisennägeln nach der Klinkerbauweise zusammen. Das heißt, die Arbeiter bauten das Ganze überlappend wie bei Dachziegeln.
Mit ihren ausgesprochen robusten und ungewöhnlich schnellen Segelschiffen unternahmen die Wikinger ausgedehnte Reisen. Dabei gaben sie mit ihrer Mischung aus Handel, Piraterie und Kolonialisierung der Schifffahrt in Mitteleuropa einen enormen Schub.
Die Wikingerschiffe waren robust und sehr schnell
Hansekoggen
Dieser Boom setzte sich im 12. Jahrhundert mit der Gründung der Hanse fort. Ihren wirtschaftlichen Erfolg verdankte diese Genossenschaft norddeutscher Kaufleute in erster Linie einer wohlorganisierten und leistungsstarken Handelsflotte. Die Kaufleute setzten bis ins 15. Jahrhundert Tausende von Hansekoggen auf der Nord- und Ostsee ein.
Die Hansekogge, die von der Konstruktion her die Bauweise der Wikingerschiffe fortsetzte, war ein idealer Frachter und so ausgelegt, dass das stark angestiegene Frachtvolumen im Handel der Hansestädte bewältigt werden konnte. Ausgestattet mit Mast und Rahsegel, verfügte die Kogge zusätzlich über Vorrichtungen zum Rudern.
Als entscheidende Innovation im Schiffbau gilt die Einführung des Heckruders zur Schiffssteuerung. Ein solches Steuerruder, das in Eisenscharnieren am Heck der Hansekoggen angebracht wurde, gehört seit dem 13. Jahrhundert zum Stand der Technik bei allen seetüchtigen Schiffen.
Doch das war nicht die einzige Innovation, die sich im 12. und 13. Jahrhundert zur Blütezeit der Hanse in der Seefahrt etablieren konnte. Entscheidende Fortschritte waren auch der nach römischem Vorbild fortgesetzte Bau von Kaianlagen in den Städten, die Errichtung von Hafenkränen und die Einführung von Kompass und Leuchtfeuern.
Ein ideales Frachtschiff: die Hansekogge
(Erstveröffentlichung 2010. Letzte Aktualisierung 20.05.2020)
Quelle: SWR